Wanzen gegen Pressefreiheit - Großer Lauschangriff gefährdet Grundrecht
Anmoderation:
PATRICIA SCHLESINGER
Ausnahmsweise beginnen wir die Sendung einmal in eigener Sache. In Zukunft werden wir Journalisten wohl weniger in unseren Büros arbeiten, vielleicht dafür mehr im Wald, in Kneipenhinterzimmern oder auf Bahnhofstoiletten. Der große Lauschangriff, der auch unsere Berufsgruppe nicht ausläßt und über den morgen noch einmal verhandelt wird, wird wohl kaum noch einen Informanten dazu bringen, uns in unseren Redaktionen etwas zu erzählen. Und auch wir werden in unseren Zimmern nicht mehr offen über Themen debattieren können. Denn kommt die Gesetzesänderung so durch, kann die Staatsanwaltschaft bei uns mithören. Natürlich wird ab morgen nicht die ganze Republik verwanzt, aber es reicht ja die Möglichkeit, daß Informationen später auf einem Richtertisch landen, um ein Gespräch in der Redaktion zum Sicherheitsrisiko zu machen. Eine Art Zensur im Vorfeld der Information also und vermutlich nicht ganz unbeabsichtigt. Viele der PANORAMA-Berichte wären unter diesen Umständen wohl nur schwerlich zustande gekommen. Da wird jetzt ein Politikertraum wahr: Schon vor der Veröffentlichung werden sie jetzt erfahren können, was sich in den Redaktionen der kritischen Medien so tut. Den angeblichen Schmierfinken von der Presse wird das Handwerk erschwert.
Edith Heitkämper hat sich mit den möglichen Folgen - auch für uns - beschäftigt.
KOMMENTAR:
Ein Blick in die PANORAMA-Redaktion heute vormittag. Vorbereitungen für die Sendung. Alltag. Nicht immer geht es um Enthüllungen und handfeste Skandale - vieles ist auch Routine unspektakulär. Brisante Themen kommen zumeist durch Informanten in eine Redaktion, nicht nur bei PANORAMA. Nur mit Hilfe von außen können Presse und Fernsehen dunkle Machenschaften enthüllen - bisher jedenfalls.
0-Ton
HERIBERT PRANTL:
(SÜDDEUTSCHE ZEITUNG)
"Wenn wir uns die Geschichte der Bundesrepublik anschauen, ja, wer hat eigentlich die großen politischen Skandale aufgeklärt? Es war ja nicht die Justiz, es war nicht die Staatsanwaltschaft, es war nicht die Polizei - es waren Journalisten."
KOMMENTAR:
Doch damit könnte jetzt Schluß sein, befürchten viele. Denn wenn der große Lauschangriff auf Redaktionen geführt wird, kommen keine Informanten mehr. Die Folge: Affären und Skandale werden nicht öffentlich. So manches hätte die Republik nicht erfahren, zur Freude der Behörden, aber auch der Politiker - nicht nur hier in Bayern.
Beispiel 1: Die Amigo-Affäre um Ministerpräsident Streibl.
0-Ton
DR. MAX STREIBL:
"Saludos, amigos."
KOMMENTAR:
Der Vorwurf: er gönne sich Luxusreisen und lasse sich großzügig beschenken. Die behauptete Gegenleistung: billige Kredite für Unternehmen. Ein ganzes Netz von bayerischen Amigos schiebe sich gegenseitig das Geld zu. Das enthüllte unter anderem die Süddeutsche Zeitung - mit Hilfe von Informanten. Demnächst vielleicht undenkbar - der große Lauschangriff gäbe die Möglichkeit, in einem solchen Fall die Journalisten zu belauschen. Ein konstruierter Vorwand wäre schnell gefunden.
0-Ton
BENNO H. PÖPPELMANN:
(Justitiar, Deutscher Journalisten-Verband)
"Ein Anhaltspunkt wäre hier für die Staatsanwaltschaft, zu sagen, es läge Bestechlichkeit des Informanten vor, es läge Bestechung durch den Redakteur vor, und aus diesem Grunde hätte abgehört werden dürfen."
KOMMENTAR:
Beispiel 2: Die Cerberus-Affäre. PANORAMA enthüllte 1990 den Waffenskandal um das Tornado-Zubehör. Ein milliardenschwerer Deal, bei dem das Parlament systematisch hintergangen wurde. Vielleicht wäre dieser Skandal mit dem jetzt geplanten Lauschangriff nie öffentlich geworden, denn auch hier hätten die Behörden bei PANORAMA lauschen dürfen.
0-Ton
BENNO H. PÖPPELMANN:
"Hier wäre das Argument gewesen, daß Landesverrat möglicherweise vorliegt, die öffentliche Bekanntmachung eines Staatsgeheimnisses bevorsteht, und aus dem Grund hätte abgehört werden können."
KOMMENTAR:
Das dritte Beispiel: Die Flick-Affäre. Mit Millionen aus der Firmenkasse hatte der Konzern jahrelang Bonner Politiker bezahlt - ein Industrie-Imperium kaufte die Politik. Wirtschaftsminister Lambsdorff bot, so der Vorwurf, als Gegenleistung ein Steuergeschenk in Milliardenhöhe. Eine Informantin gab den Tip - in Zukunft ein Grund für Wanzen in einer Redaktion.
0-Ton
BENNO H. PÖPPELMANN:
"Bei der Parteispenden-Affäre hätte man gegebenenfalls auch dadurch zu einem Lauschangriff kommen können, wenn man ein Delikt wir Bestechung oder Bestechlichkeit mit ins Spiel gebracht hätte."
KOMMENTAR:
Und noch ein Beispiel: Der Plutonium-Skandal 1995. In diesem Koffer schmuggelten Gangster hochradioaktives Plutonium von Moskau nach München. Die dubiose Rolle der Geheimdienste wird noch immer untersucht. Auch hier hätte man mit Hilfe des vorgesehenen Lauschangriffs Wege finden können, um die unliebsame Enthüllung zu verhindern.
0-Ton
BENNO H. PÖPPELMANN:
"In dem Fall wären zwei Deliktstatbestände in Betracht gekommen: zum einen Landesverrat gegebenenfalls und zum anderen Waffenschmuggel, und beides hätte zum Ergebnis haben können, daß abgehört worden wäre."
KOMMENTAR:
Im Klartext: Der jetzt geplante Lauschangriff bietet Politikern und Behörden zahlreiche Möglichkeiten für das Lauschen in Redaktionen. Journalisten und Verleger wehren sich, wollen für die Pressefreiheit kämpfen.
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GERD SCHULTE-HILLEN:
(Vorstandsvorsitzender GRUNER + JAHR)
"Ich befürchte, daß die Informationsbeschaffung für investigative Zeitschriften, wie wir sie verlegen, beispielsweise STERN oder BERLINER ZEITUNG, deutlich erschwert wird. Informationsbeschaffung ist die Voraussetzung für wirklich realisierte Informationsfreiheit. Wie wollen Sie die Bürger informieren, wie das die Presse ja soll, wenn mögliche Informanten damit rechnen müssen, daß die Redaktionsstuben verwanzt sind und abgehört werden."
0-Ton
STEFAN AUST:
(Chefredakteur DER SPIEGEL)
"Dieses Gesetz gibt die Möglichkeit, in solchen Bereichen sehr intensiv mit Mitteln der Technik zu forschen, und zwar mit dem Ziel, die Quellen auszukundschaften. Denn man darf ja nicht vergessen, daß diejenigen, die in diesem Falle sehr häufig, oder in solchen Fällen, das Ziel von Berichterstattung sind, daß das dieselben sind, die ein eklatantes Eigeninteresse haben, herauszufinden, woher die Materialien stammen."
0-Ton
HERIBERT PLANTL:
(SÜDDEUTSCHE ZEITUNG)
"Die Presse ist unangenehm, und man nutzt die Möglichkeiten, die man rechtlich hat, der Presse eins auf den Kopf zu hauen."
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HERMANN MEYN:
(Vorsitzender Deutscher Journalisten-Verband)
"Wenn die Pressefreiheit in dieser Weise, wie es geplant ist, tangiert wird, wenn sie ausgehöhlt wird, ist das auch ein Schaden, der der Demokratie zugefügt wird."
KOMMENTAR:
Morgen soll der Bundesrat über den großen Lauschangriff abstimmen. Hier wird sich auch entscheiden, wieviel die Pressefreiheit den Politikern tatsächlich wert ist.
Abmoderation:
PATRICIA SCHLESINGER
Niemand kann wohl etwas gegen die Bekämpfung der sogenannten Organisierten Kriminalität haben, aber wir sollten uns auch nicht täuschen lassen: Wanzen in den Redaktionen schützen nicht uns vor Kriminalität, sondern nur unsere Politikergarde vor unliebsamer Berichterstattung. Und dabei wird einer der Grundpfeiler der Demokratie, die Pressefreiheit, eingeschränkt.
