Piep, peep und Provokation - Wie Kultstars gemacht werden
Anmoderation
PATRICIA SCHLESINGER:
Als Guildo Horn mit seinem Liedchen zum Liebhaben zum deutschen Vertreter für den europäischen Schlagerwettbewerb und dann noch zum deutschen Kultstar auserkoren wurde, schien für viele das Ende der deutschen Kultur gekommen. Nicht nur er, auch Verona Feldbusch und Harald Schmidt bereichern die öffentliche Diskussion, alles aufgewertet unter dem Signum "Kult". Wer da meckert, ist Spielverderber, versteht den Kult nicht oder hat einfach noch zu viel Geist und Geschmack.
Thomas Berbner und Sabine Platzdasch über die Maskottchen der Mediengesellschaft.
KOMMENTAR:
Das ist sie, die neue Unterhaltungselite der Republik: Guildo Horn, Botschafter des deutschen Schlagers beim Grand Prix. Verona Feldbusch, in ihrem immerwährenden Kampf um den semantischen Unterschied von Akt und Akkusativ.
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VERONA FELDBUSCH:
(Moderatorin)
"Das ist so ähnlich wie bei mir, bei mir sagt man jedesmal, wenn wir hier Proben haben: Das heißt nicht dem, sondern den. Und dann sag' ich den, dann heißt es dem."
KOMMENTAR:
Und Harald Schmidt, der tagtäglich auf dem Zeitgeist surft. Für ihre Fans sind sie Kultstars, was immer das bedeuten mag.
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VERONA FELDBUSCH:
"Im Moment hat man sich auch ganz besonders auf bestimmte Personen fixiert und bezeichnet sie als kultig. Ich glaube, das sind Personen, die einen Widerspruch wecken und wo Leute sich einfach drüber streiten können im Grunde genommen. Also sie sehen es sehr unterschiedlich, die einen sagen, das ist einfach furchtbar und total daneben, und die anderen sagen, nein, das hat was, das ist irgendwas besonderes. Und ich glaube, genau das macht das irgendwie aus, also kultig zu sein."
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JAN FEDDERSEN:
(Kulturkritiker)
"Kult lebt auch davon, daß man den Gegenstand des Kultes erstmal schlecht findet. Das heißt, es muß irgendein sogenannter Mainstream behaupten: Nein, das ist aber ganz grauenhaft. Er muß einen Widerstand haben."
KOMMENTAR:
Wie zum Beispiel Guildo Horn. "Darf dieser Mann für Deutschland singen?" titelte die BILD-Zeitung vor der Grand Prix-Ausscheidung. Geburtsstunde eines Kults.
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JAN FEDDERSEN:
"Da hat sich das Management von Guildo Horn und haben sich Kollegen der BILD-Zeitung an einen Tisch gesetzt und haben diese Kampagne genau geplant. Wenn BILD jetzt getitelt hätte:
'Dieser Mann muß für Deutschland singen', das hätte ja niemanden interessiert."
KOMMENTAR:
Der Rest war reine Formsache.
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AXEL BULTHAUPT:
(Moderator)
"Guildo Horn."
KOMMENTAR:
Guildo Horn gewann die Endausscheidung, und Konkurrent Ralf Siegel, der Altmeister des Seichten, verlor die Fassung. Guildo sang seinen Siegertitel noch einmal in die deutschen Wohnstuben, Ralf Siegel blieb nur das Hinterzimmer. Selten wurde der Widerstand des Establishments eindrucksvoller gebrochen.
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GUILDO HORN:
"Hallo, Rheda-Wiedenbrück."
KOMMENTAR:
Seitdem rollt die Kultwelle durch jede deutsche Kleinstadt. Rheda-Wiedenbrück, gleich hinter Gütersloh, vor zwei Tagen. Der Meister zelebriert wieder seine Messe, und die Fans gehen auf in der Gemeinschaft der Gleichgesinnten.
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FAN:
"Guildo ist Kult für mich."
KOMMENTAR:
Und jeder Kult hat seine Rituale. Die Fans von Guildo begreifen sich als etwas ganz besonderes, eine Art individuelles Gruppengefühl.
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FANS:
"Guildo ist einfach so Klasse. Es gibt so viele Leute da in Techno usw., und man will auch was anderes darstellen, man ist so ein bißchen individuell in der Richtung, man ist einfach was anderes."
"Das gibt so eine Art Gruppengefühl, weil das ist ja heutzutage auch meist alles sehr - grade in den Discos tanzt jeder für sich alleine, und es ist schon ganz nett, wenn man sich so auf die Schulter faßt oder einfach grüßt, obwohl man ihn nicht kennt."
"In unserer Gesellschaft ist alles sehr zerklüftet, gibt's irgendwie - sämtliche Werte sind am Umkippen und so, und dann sucht man sich halt so seine Nische, der man sich zugehörig fühlt. Also das kann dann auch so eine Kultecke sein, so ein kleines kultiges, plüschiges Zuhause."
"Kult ist eine heimliche Veranstaltung. Man muß immer so, daß ist so im Prinzip eine Kodierung für die Wissenden, es hat was Religiöses."
KOMMENTAR:
Zeit fürs Abendmahl bei Guildo.
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GUILDO HORN:
"Nehmet und esset alle davon, iß 'ne Nußecke und tut niemandem weh."
KOMMENTAR:
Statt Hostien gibt es für die Jünger Naschwerk, was dem Glauben an die Sinnhaftigkeit des eigenen Tuns keinen Abbruch tut.
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GUILDO HORN:
"Ihr Ferkel, ist doch ein Lebensmittel, immer schön beherrscht, der beherrschte Genuß ist der wahre Genuß."
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HARALD SCHMIDT:
(Moderator)
"Da ist schon ein Bereich, glaube ich, sich ein bißchen von seiner Mutti abzusetzen. Aber alles im Rahmen und nicht sozusagen - nicht systemgefährdend, sondern einfach fun, happy und gut drauf sein und irgendwie locker rüberkommen, dieser Wunsch ist stärker geworden. Und Gott sei Dank ist die Industrie in der Lage, darauf zu reagieren, denn es wäre ja schlimm, wenn wir sozusagen diese Wünsche nicht bedienen könnten."
KOMMENTAR:
Und keiner bedient diese Wünsche so gut wie Harald Schmidt selbst. Die Kultstars in der Sendung garantieren Einschaltquote, vor allem Verona Feldbusch.
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HARALD SCHMIDT:
"Und du hast es beim Jubeln gehört, und ich sag' es dir jetzt noch mal ganz persönlich: Du bist der absolut perfekte Gast für uns, du bist einer unserer Top-5-Gäste, das weißt du, hundertprozentig, was Zuschauerzahlen angeht usw. - wenn du bei uns bist, so geht die Kurve nach oben."
KOMMENTAR:
Verona, die Kurvengarantin. Piep, piep, piep, ich hab euch lieb, könnte auch ihr Motto sein. Das Ex-Modell moderiert das RTL2-Erotikmagazin Peep.
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VERONA FELDBUSCH:
"Hallo und herzlich willkommen zu Peep."
KOMMENTAR:
Berühmt sind inzwischen die Aufzeichnungen der Sendung. Beim wievielten Mal schafft sie es heute?
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VERONA FELDBUSCH:
".... bedeuten, seitdem spielt er den Bösewichten - Bösewichten. Am besten spielt er den Bösewichten - sehr erfolgreicher Schauspieler - er spielt den - freuen Sie sich mit mir gleich auf - jetzt habe ich den Namen vergessen."
"Das, glaube ich, macht den Kult so'n bißchen aus, daß man sich jetzt nicht so richtig entscheiden kann, also ist sie nun wirklich so blöd, auf der anderen Seite ist sie nun wirklich clever. Und da kommt dieser Streitpunkt zustande. Und ich glaube, solche Sachen, das bringt die Leute dazu, zu irgend jemand zu sagen: Das muß irgendwie Kult sein."
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HARALD SCHMIDT:
"Ich sehe Verona Feldbusch sehr viel längerfristig als Guildo Horn. Sie ist keinesfalls dumm, was viele suggerieren und glauben machen wollen, sondern ich halte sie für sehr schlau. Sie hat Charme, sie hat Selbstironie, und wenn man sich mal überlegt, wieviel Titelseiten Verona Feldbusch im letzten Jahr hatte und wieviel Millionen Fernsehsender in Kampagnen investieren, um irgendwelche Leute in den Markt zu drücken, die es dann nicht schaffen, dann ist Verona Feldbusch etwas, was man erfinden müßte, wenn es sie gar nicht gäbe."
KOMMENTAR:
Der Guildo-Kult strebt seinem Höhepunkt entgegen. Deutschland im Piep-Rausch. Die Folgen für die Politik sind unüberhörbar. Meister-Meister-Rufe am Abend der Niedersachsenwahl. Spüren die Anhänger wieder, da kommt einer, den keiner aufhalten kann, der alle Widerstände brechen wird wie damals Guildo? Der perfekte Kanzlerkandidat schien geboren: Guildo Schröder.
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GUIDO WESTERWELLE:
(FDP)
"Das Phänomen Gerhard Schröder ist das Phänomen Guildo Horn."
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GREGOR GYSI:
(PDS)
"Wenn ein Guildo Horn den deutschen Schlagerwettbewerb gewinnen kann, dann wird auch die PDS mit mehr als fünf Prozent der Zweitstimmen in den Deutschen Bundestag einziehen."
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"Wunder gibt es immer wieder..."
KOMMENTAR:
Wunder soll es ja bekanntlich auch bei Bundestagswahlen hin und wieder geben, doch ob das Beispiel Guildo Horn der hohen Politik nützt, ist mehr als fraglich.
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JAN FEDDERSEN:
(Kulturkritiker)
"Kult kann man nicht beschließen, das findet nicht an irgendwelchen Kabinettstischen statt, und man sagt jetzt, das sei Kult - so geht es nicht."
KOMMENTAR:
Denn da ist der Wähler genau wie der Fan: er läßt sich nicht vorschreiben, wen er gut finden soll und wen nicht. Da ist er unberechenbar, wechselhaft und von Stimmungen geleitet - ganz wie beim Kult.
Abmoderation
PATRICIA SCHLESINGER:
Die Deutschen sollen übrigens nächste Woche per Telefon abstimmen, ob Guildo Horn vielleicht der nächste Bundeskanzler werden sollte - das ist kein Witz. Aber wer meint, das bedeute nun das Ende des Kohl-Kults im Kanzleramt, der irrt gewiß.
