Millionen für Toiletten-Mafia - Skrupellose Unternehmer beuten Klofrauen aus
Anmoderation
PATRICIA SCHLESINGER:
Jetzt geht es um öffentliche Toiletten - ein in der Tat ungewöhnliches Thema für ein politisches Magazin. Aber eigentlich geht es um räuberische Erpressung, das Einschleusen von Ausländern und Steuerhinterziehung. Jeder von uns kennt es: eine Autobahnraststätte, eine Toilette, im Flur davor ein Tisch mit einem Tellerchen für’s Trinkgeld. 50 Pfennig, manchmal eine Mark für die Toilettenfrau. Aber das wenigste davon darf sie behalten. Denn beim Trinkgeld - und da kommt so einiges zusammen - verdienen noch viele mit. Organisierte Kriminalität, so die Polizei, in bundeseigenen Räumen, denn die Autobahnraststätten gehören dem Staat.
Verena Formen und Stephan Wels berichten über ein illegales Millionengeschäft, bei dem die Menschen, für die wir das Markstück da hinlegen, weil sie die Toiletten sauber halten, nur verlieren.
KOMMENTAR:
Dreimal haben sie hier schon kontrolliert. Autobahntankstelle Münster, Besuch auf der Toilette. Die Fahnder des Arbeitsamtes überprüfen heute diesen Mann aus Jugoslawien. Er putzt die Klos und sammelt das Trinkgeld der Besucher. Eine Arbeitserlaubnis hat er nicht. Aber was soll er machen, um seine Kinder zu ernähren, ruft er wütend. Für eine Bremer Firma sitzt er hier. Im Schrank stapelt sich Trinkgeld, behalten darf er es nicht, sagen die Fahnder.
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MICHAEL SCHWERING:
(Arbeitsamt Ahlen)
"Der Arbeitnehmer sitzt heute zwischen zehn und zwölf Stunden und vereinnahmt das Trinkgeld, von dem er dann die gesamte Summe an den Unternehmer abführen muß, der ihn dann mit 600 bis 700 Mark monatlich entlohnt."
KOMMENTAR:
Vier Kontrollen in der letzten Zeit, immer das gleiche Bild: ein armer Ausländer und die Firma, die kassiert.
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MICHAEL SCHWERING:
"Nach unseren Feststellungen tut sich nichts, wir kommen immer wieder hier hin und prüfen, machen die gleichen Feststellungen. Die Köpfe ändern sich, die Methoden bleiben."
KOMMENTAR:
Menschenverachtende Methoden, die es überall an deutschen Autobahnen gibt. Wir fahren zum Tankstelle Göttingen. Hier hat der Tankstellenpächter eine Hamburger Firma damit beauftragt, die Toiletten sauber zu halten. Das ist schön billig, viel billiger, als eigene Putzfrauen zu beschäftigen. Um 50 Pfennig für ihr Personal bittet die Hamburger Firma. Die Besucher zahlen bereitwillig.
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INTERVIEWER:
"Eine Frage ganz kurz: Was glauben Sie, wo das Trinkgeld hingeht?"
FRAU:
"Das wird sicherlich die Dame bekommen, die das hier saubermacht, ich hab’ die eben grade gesehen."
KOMMENTAR:
Die Dame will nicht vor unsere Kamera, aber sie hat uns erzählt, was mit dem Trinkgeld geschieht.
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TOILETTENFRAU:
(geänderte Stimme)
"So 150 Mark am Tag nehme ich ein. Davon muß ich 100 Mark abgeben. Alle zwei Wochen kommt jemand von der Firma und holt das Geld ab. Mir bleiben so 50 oder 60 Mark am Tag. Ein Gehalt bekomme ich nicht, es wird auch keine Versicherung bezahlt."
KOMMENTAR:
Das alles hat die Klofrau auch den Tankstelleninhabern erzählt. Einer der Betreiber windet sich vor der Kamera.
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PETER MICHAEL BIBO:
(Tankstelle Göttingen)
"Ich kann es nicht nachvollziehen."
INTERVIEWER:
"Aber Sie haben es schon gehört?"
PETER MICHAEL BIBO:
"Ich habe es gehört, wie gesagt."
INTERVIEWER:
"Sind Sie der Sache mal nachgegangen?"
PETER MICHAEL BIBO:
"Es würde mir sicherlich schwerfallen, sage ich mal, diese Strukturen aufzubrechen. Es ist natürlich ein bißchen unfair jetzt."
KOMMENTAR:
Solche Fragen finden einige Pächter unfair: Was haben Sie damit zu tun, wenn andere in ihren Räumen ausgebeutet und illegal beschäftigt werden. Die Raststättenbetreiber wollen Kosten sparen, und manche wollen am liebsten nicht wissen, was in ihren Toiletten vor sich geht.
Ortswechsel. Wir treffen die Toilettenfrau Erika Bergau. Seit zehn Jahren ist sie im Geschäft. Vor über einem Jahr bekam auch sie ein Stellenangebot der Hamburger Reinigungsfirma. Der Geschäftsführer Schmidt wollte einen Teil ihrer Einnahmen abkassieren, in vorgedruckten Tüten sollte sie das Geld sammeln.
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ERIKA BERGAU:
"Also wenn ich einen Tagesverdienst von ca. 90 Mark gehabt hätte, hätte ich 40 Mark behalten können, den Rest in die besagten vorgedruckten Tüten mit Datum einlegen. Und das habe ich rundherum abgelehnt. Dann hat Herr Schmidt gesagt, dann hätte ich 50 Mark behalten können. Das habe ich auch abgelehnt."
KOMMENTAR:
Andere haben solche Angebote angenommen. Die Hamburger Firma zählt zu den ganz großen im Toilettenmetier.
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ERIKA BERGAU:
"Das empfand ich als reine Abzocke, das ist Ausbeuterei. Das ist wie im Mittelalter, da mußte man den Zehnten abgeben, bloß ich sollte ja über 50 Prozent abtreten an Herrn Schmidt. Also das ist Ausbeuterei."
KOMMENTAR:
Über diese Hamburger Firma hat die bayerische Polizei jüngst einen Ermittlungsbericht geschrieben. Sie wird der Erpressung verdächtigt, soll Ausländer einschleusen und Steuern hinterziehen. Nach Schätzungen betreibe sie mehrere hundert Toilettenanlagen, und wer nicht bezahle, so der Verdacht, werde konkret bedroht.
Hier in Düsseldorf soll Herr Schmidt wohnen. Gerne hätten wir ihn interviewt. Am Telefon lehnte er ab und bestritt alle Vorwürfe. Anschließend riet er uns noch, keine Fehler zu machen. Der Unternehmer fürchtet wohl, wir könnten ihm das Geschäft verderben. So eine Raststätte kann nämlich bis zu 8.000 Mark im Monat bringen.
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WERNER MARQUIS
(Landesarbeitsamt Nordrhein-Westfalen)
"Wir haben zum Beispiel bei eine Prüfung, Überprüfung einer Toilettenanlage im südlichen Nordrhein-Westfalen in einem Hinterraum eine fünfstellige Summe gefunden, Geld in verschiedensten Verpackungen, also Joghurtbechern und Säcken und weiß der Himmel was, unterschiedlichste Währungen. Das signalisiert natürlich auch, daß bei einer gut frequentierten Toilettenanlage einer Autobahnraststätte ein großer finanzieller Umsatz gerade über Trinkgeld gemacht wird."
KOMMENTAR:
Sie seien durch und durch seriöse Geschäftsleute, haben uns die Herrn versichert, die hier vorfahren. An der Autobahn treffen wir die Toilettenunternehmer Alfons Nägele und Siegfried Weiss. Bedeutende Persönlichkeiten im Klogewerbe, sie betreiben so ein gutes Dutzend Toiletten. Heute ist Inspektion.
Rund 1.000 Mark kassieren sie pro Raststätte im Monat, erzählen sie uns, um die Toiletten sauber zu halten. Ihre pfiffige Geschäftsidee bestehe nun darin, dem Reinigungspersonal rein gar kein Gehalt zu bezahlen. Dieses Modell sei völlig legal und vom Finanzamt abgesegnet.
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SIEGFRIED WEISS:
(Toiletten-Unternehmer)
"Frau Grotow ist im Grunde genommen nicht meine Mitarbeiterin, Frau Grotow ist freie Unternehmerin. Sie hat, bevor sie diese Tätigkeit hier aufgenommen hat, ihr Gewerbe offiziell angemeldet, weil ohne Gewerbeanmeldung fängt bei uns Personal nicht an."
KOMMENTAR:
So spart man Sozialabgaben. Die freie Unternehmerin Frau Grotow und alle ihre Kollegen leben nur vom Trinkgeld. Aber auch davon müssen sie ihren Chefs abgeben.
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INTERVIEWER:
"Sie wollen uns nicht sagen, wieviel Sie im Monat bezahlen?"
TOILETTENMANN:
"Es gibt nicht viel, kann ich auch nicht viel sagen."
SIEGFRIED WEISS:
"Ich würde den Mann, den fleißigen Mann, auch nicht länger löchern. Er gibt ein bißchen was ab für die Firma Nägele, der auch von irgendwas leben muß, das habe ich Ihnen eingangs schon öfters gesagt. Aber es ist moderat und so minimal, nicht wahr, daß er finanziell überhaupt nicht belastet wird."
KOMMENTAR:
Es seien ja nur ein paar hundert Mark im Monat, das tue ja nicht weh.
Alle 750 Autobahnraststätten gehören dem Staat, der bundeseigenen Tank und Rast. Ein Interview lehnte das Unternehmen ab, man sei nicht verantwortlich. Das ist mal wieder niemand, auch wenn Arbeitsämter von schwerer Kriminalität sprechen.
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WERNER MARQUIS:
(Landesarbeitsamt Nordrhein-Westfalen)
"Also wir vermuten, daß es sich da um eine Form der organisierten Kriminalität handelt, denn dahinter stecken einzelne Drahtzieher, die die Toilettenanlagen organisieren, bewirtschaften, das heißt: reinigen lassen, und letztendlich ohne großen Aufwand durch die Beschäftigung von illegalen Arbeitnehmern - also keine Sozialleistungsabgaben, keine Steuerpflicht - ohne großen Aufwand eine Menge Geld verdienen. Und das ist immer das große Problem dabei, da, wo das große Geld fließt, wenn wir einen aus dem Verkehr gezogen haben, kommen direkt andere wieder hinterher, die das Geschäft weiter betreiben.
KOMMENTAR:
Die Kontrollen der Fahnder - bislang nichts als eine Sisyphusarbeit. Die junge Frau aus Ghana macht den Job noch nicht lange. Es ist, wie es immer ist, Verdacht auf Scheinselbständigkeit und Sozialversicherungsbetrug. Auch die junge Frau ist wieder einmal selbständige Unternehmerin. Sie arbeitet für 50 Mark bar auf die Hand, so gibt sie es zu Protokoll.