Ausgebeutet und abkassiert - Toilettenfrauen in Kaufhäusern
Anmoderation
PATRICIA SCHLESINGER:
Können Sie sich vorstellen, ohne Lohn zu arbeiten und dann noch Ihren Chef dafür zu bezahlen, daß er Ihnen einen Job gibt? Kapitalismus brutal, so etwas hat man aus den USA schon gehört. Inzwischen ist das auch in Deutschland Realität. In der letzten Panorama-Sendung haben wir Ihnen gezeigt, daß Toilettenfrauen und -männer in bundeseigenen Autobahnraststätten nicht nur keinen Lohn vom Arbeitgeber erhalten, sondern dann auch noch große Teile ihres Trinkgeldes ihn abgeben müssen. Der Vorstand der bundeseigenen Tank & Rast AG hat nach der Sendung die Pächter der Toiletten in einem Brief nachdrücklich verwarnt und Kontrollen angekündigt. Und uns haben viele Zuschauer geschrieben. Einigen Hinweisen sind wir daraufhin nachgegangen. Das Ergebnis ist nicht sehr erfreulich: Auch in Kaufhäusern müssen diejenigen, die dort die Toiletten für uns sauberhalten, vom Trinkgeld ihren Arbeitgeber bezahlen. Besondere Variante: Karstadt und Kaufhof verdienen in Einzelfällen da wohl noch kräftig mit. Ilka Brecht und Stephan Wels berichten über ein Millionengeschäft. Verlierer sind - wie beim letzten Mal - die Toilettenfrauen und -männer.
KOMMENTAR:
Die Glitzerwelt der Kaukfhäuser. Eine Branche mit hohen Profiten. Allein der Karstadt-Konzern macht zwanzig Milliarden Umsatz im Jahr.
Im Abseits der Konsumtempel das Kundenklo. Die Toilettenfrau bedankt sich für das Trinkgeld, das viele Kaufhauskunden geben - aus Mitleid und weil sie diese dreckige Arbeit für die Kunden macht. Aber die Arbeitsbedingungen des Toilettenpersonals sind noch viel härter, als der Kunde denkt.
0-Ton INTERVIEWERIN:
"Was passiert eigentlich mit dem Trinkgeld?"
TOILETTENFRAU:
"Kriegt die Chefin."
INTERVIEWERIN:
"Aber jeder würde doch denken, das Trinkgeld ist für Sie gedacht?"
TOILETTENFRAU: "Denken sie, ja, aber ist nicht."
INTERVIEWERIN:
"Und warum lassen Sie das mit sich machen?"
TOILETTENFRAU:
"Um eine Arbeit zu behalten, sonst kriegt man ja nichts."
KOMMENTAR:
Das Trinkgeld kassiert der Toilettenpächter, die Klofrau wird mit ein paar Mark abgespeist. An der Hamburger Mönckebergstraße treffen wir den Herrn über ein ganzes Heer von Klofrauen. Auf fünfzehn Kaufhaustoiletten klingeln für Rainer Prasuhn die Trinkgeldkassen.
0-Ton INTERVIEWER:
"Herr Prasuhn, wie oft gehen Sie zu C & A und holen hier ihre Einnahmen ab?"
RAINER PRASUHN: (Toilettenpächter)
"Die hole ich hier gar nicht ab, die lasse ich mir von den Beschäftigten bringen."
INTERVIEWER:
"Die Beschäftigten bringen das?"
RAINER PRASUHN:
"Jawohl."
KOMMENTAR:
Traumberuf Toilettenpächter. Abkassiert wird überall, wo wir waren: Kaufhof, Berlin Alexanderplatz und Karstadt. Ein Interview wollte uns hier keiner geben - zu heikel. Auch im Welthaus KaDeWe weiß man: Das Trinkgeld landet in den Taschen des Pächters. Am Telefon sagt man uns, dies sei "des Pächters unternehmerische Freiheit".
Daß die Pächter das Trinkgeld der Frauen abkassieren, stört die Kaufhäuser nicht, im Gegenteil: So hat der Pächter das Geld, und das Kaufhaus muß ihm fürs Saubermachen nichts bezahlen.
0-Ton EHEMALIGER KARSTADT-MITARBEITER: (Stimme verändert)
"Vorher waren die Aufwendungen monatlich ungefähr bei 5.000 Mark, die man an den Unternehmer zahlte. Davon hat er dann die Toilettenfrauen bezahlt. Und zusätzlich hatte die Toilettenfrau halt auch noch die Trinkgeldeinnahmen."
KOMMENTAR:
Das war einmal. Vom Trinkgeld bedient sich heute nicht nur der Pächter, sondern - und das ist der Clou - manchmal auch das Kaufhaus: über eine Gebühr, die der Toilettenpächter vom Trinkgeld an das Kaufhaus abführt.
0-Ton EHEM. KARSTADT-MITARBEITER:
"Dann war auf einmal die Geschäftsidee da: wir haben da jemand, der zahlt uns sogar noch dafür, daß er diese Toiletten sauberhalten darf. Und, ja für den Kaufmann, reinrassigen Kaufmann, gibt es da gar keine Überlegungen mehr.
KOMMENTAR:
Zweihundert Mark, sagt uns der ehemalige Karstadt-Mitarbeiter, kassiert zum Beispiel Karstadt-Münster für seine Toiletten vom Pächter. Dieser Kunde hat gerade Trinkgeld für den Toilettenmann in den Porzellanteller gelegt. Er ahnt nicht, daß damit aus seinem Portemonnaie Geld für das Kaufhaus fließt. Andere Warenhäuser verlangen sogar noch mehr als zweihundert Mark monatlich.
0-Ton INTERVIEWER:
"Was für Pachtzahlungen werden denn erhoben?"
RAINER PRASUHN: (Toilettenpächter)
"Meines Wissens nach werden Barzahlungen erhoben bis in Höhe von über 2.000 Mark monatlich."
KOMMENTAR:
Summen, von denen die Toilettenfrauen nur träumen können. Diese Klofrau ist eine der wenigen, die sich von uns filmen läßt. Die anderen wollten nichts sagen - aus Angst, ihre Arbeit zu verlieren. Zweimal die Woche fährt sie mit der Bahn in die Stadt, um bei Karstadt in Berlin-Tegel die Klos zu putzen. Zehn Stunden am Tag macht sie das. Was bekommt sie dafür im Monat?
0-Ton TOILETTENFRAU:
"Da brauche ich gar nicht drüber nachdenken. Das sind noch nicht mal 300 Mark, denn ich muß ja 100 Mark für die Fahrkarte - also 99 Mark für die Fahrkarte noch bezahlen. Da bleibt nicht viel. Also ich hab’ mir das so ausgerechnet: ungefähr 230 Mark."
KOMMENTAR:
Der Pächter kontrolliert, daß die Klofrauen nicht zu viel vom Teller nehmen.
0-Ton TOILETTENFRAU:
"Das Trinkgeld, was die Leute mir geben, darf ich ja nicht behalten, denn ich nehme mir nur, was mir zusteht. Das andere kriegt die Frau ....".
INTERVIEWERIN:
"Ohne was dafür zu tun."
TOILETTENFRAU:
"Ja, kann man wohl sagen."
KOMMENTAR:
Und so rollt sie das Kleingeld für die Chefin. Sie wird ausgebeutet und womöglich sogar illegal beschäftigt.
0-Ton TOILETTENFRAU:
"Im Moment - ich weiß gar nichts, ob sie nun Steuern für uns bezahlt oder Krankenkasse, das weiß ich nicht."
INTERVIEWERIN:
"Sie haben keinen Vertrag?"
TOILETTENFRAU:
"Nein, nein, ich hab’ keinen Vertrag, nichts, und die anderen Kollegen auch nicht."
KOMMENTAR:
Beim Karstadt-Konzern lehnt man ein Interview ab, Stellungnahmen nur schriftlich. Die Verpachtung der Toiletten sei "grundsätzlich kostenlos", heißt es. Aber bei Nachfrage stellt sich heraus: Eine gewisse Gebühr nehme man "in Einzelfällen aber doch". Und zu den Klofrauen: Man gehe davon aus, "daß eine adäquate Bezahlung erfolgt". Der ehemalige Karstadt-Mitarbeiter erinnert sich anders:
0-Ton EHEM. KARSTADT-MITARBEITER: (Stimme verändert)
"Man weiß dann schon, ja, daß da so viel nicht überbleibt für die Toilettenfrauen. Aber im Grunde genommen - was will man tun? Man hat halt den Zwang und, ja, die Aufgabe, Geld zu sparen, und dem kommt man nach. Wenn man sich weigert, dann macht’s ein anderer."
KOMMENTAR:
Acht Uhr abends bei Karstadt-Tegel. Die alte Dame hat fast Feierabend. In dem Karstadt-Tütchen verstaut sie die Geldrollen und wird sie gleich wegschließen - zur Abholung. Sie hat das Trinkgeld von den Kunden bekommen, aber jetzt ist es für andere bestimmt.
Abmoderation
PATRICIA SCHLESINGER:
Uns erreichte haute abend ein Fax von der Karstadt AG. Man hat die dort arbeitenden Toilettenfrauen und -männer befragt. Sie fühlen sich weder ausgebeutet noch abkassiert, ließ man uns wissen. Na, dann ist es ja offenbar alles gut.