Sendedatum: 12.09.1996 21:00 Uhr

Solingen: Öffentliche Aufträge für rechtsradikale Bauunternehmer

von Bericht: Franziska Hundseder und Volker Steinhoff

Seit dem Brandanschlag auf ein türkisches Haus mit 5 Toten im Mai 1993 ist die Stadt Solingen zu einem Negativ Symbol für ausländerfeindliche Gewalt in Deutschland geworden. Eine schwere Hypothek, unter der die Stadt noch heute leidet - nicht ohne eigene Schuld. So vergibt sie auch heute noch regelmäßig öffentliche Aufträge an einen rechtsradikalen Bauunternehmer. Diese Vergabepraxis ist juristisch möglicherweise unanfechtbar, politisch-moralisch jedoch schwer erträglich, wie Franziska Hundseder und Volker Steinhoff finden.

KOMMENTAR:

Das Brandhaus in Solingen vor 3 Jahren, Symbol für rechten Terror. Hier starben 5 Menschen. Damals mahnten die Solinger Stadtväter: "Wer hört, sieht - und schweigt, macht sich mitschuldig."

Solingen heute, 100-Jahr-Feier für ein Bauunternehmen. In feiner Gesellschaft mit dabei: Günther Kissel, größter Bauunternehmer vor Ort.

O-Ton

INGOLF DEUBEL Oberstadtdirektor Solingen

"Der ist in Solingen sicherlich das größte, oder hat das größte Bauunternehmen, ja."

INTERVIEWER:

"Und bekommt er die meisten Bauaufträge der Stadt im Bereich Hochbau?"

O-Ton

INGOLF DEUBEL Oberstadtdirektor Solingen

"Als Einzelunternehmen, äh, hat er sicherlich auch den größten Anteil, das kann nicht ausbleiben."

KOMMENTAR:

Wer ist Günther Kissel? Der größte Baulöwe von Solingen, aber auch ein notorischer Rechtsradikaler.

Ein Werbevideo des Nazis Thies Christophersen, einer von Kissels Freunden. Bekannt ist Christophersen für die Verbreitung der sogenannten Auschwitzlüge. Doch Kissel hält ihn für einen "honorigen und außerordentlich charaktervollen Menschen".

Christophersen wird momentan wegen solcher braunen Hetze per Haftbefehl gesucht, früher saß er schon im Gefängnis. Kissel forderte die Freilassung - nicht nur für ihn, sondern das Ende der Haft für alle Naziverbrecher.

O-Ton

GÜNTHER KISSEL, 1989

"Das ist nach meiner Auffassung ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit, was die politische Justiz in der Bundesrepublik macht. Weil soviel Meineide geleistet werden, bei diesen Verfahren, daß man die Wahrheit nicht erfahren kann."

INTERVIEWER:

"Was meinen Sie, wie man damit umgehen sollte, mit diesen Verfahren?"

O-Ton

GÜNTHER KISSEL, 1989

"Amnestie."

INTERVIEWER:

"Was glauben Sie denn, wer dahintersteckt?"

O-Ton

GÜNTHER KISSEL, 1989

"Tja, Sie bringen mich auf eine Glatteisfährte. Zionisten."

KOMMENTAR:

In einem Neonaziblatt nennt auch Kissel selbst den Holocaust eine "6-Millionen Behauptung". "Nach meinem Empfinden kann es nicht mehr lange dauern, bis das gesamte Lügengebäude zusammenbricht und die Handlanger des Zionismus in Bonn ihre Koffer packen können."

Den Worten folgen Taten - der Landesregierung von Nordrhein-Westfalen liegen Erkenntnisse über Spenden zugunsten rechtsextremistischer Parteien wie etwa der NPD vor - von Kissel.

INTETERVIEWER:

"Nun spendet er ja, wie er selber mehrfach zugegeben hat an die NPD und andere rechtsextremistische Parteien. Letztendlich aus dem Gewinn, den er mit Ihrem Geld macht."

O-Ton

INGOLF DEUBEL Oberstadtdirektor Solingen:

"Richtig. Das ist leider so und das ist auch einer der Punkte, die dazu führen das Auftragsvergaben an Kissel, äh, nicht nur Freude hervorrufen."

O-Ton

ERNST UHRLAU Verfassungsschutz Hamburg

"Parteien brauchen Geld und Spender sind häufig sehr viel wichtiger als Mitglieder, die nur davon leben einen kleinen Beitrag zu erheben. Spender sind für rechtsextremistische Parteien lebenswichtig."

KOMMENTAR:

Die Geschwister-Scholl Schule in Solingen. Seit kurzem wird hier an der Erweiterung gebaut, mit Steuergeldern, versteht sich. Der Zwei-Millionen-Auftrag, ausgerechnet für die nach Widerstandskämpfern benannte Schule, ging wieder an Kissel. Schüler und Lehrer protestierten vergeblich.

O-Ton

NINA SCHUNKE

Schülerin, Geschwister-Scholl-Schule: "Uns hat gestört, daß die Politiker, die halt, nachdem der Brandanschlag jetzt fast genau drei Jahre her ist, äh mh, immer davon gesprochen haben, daß sie was gegen Rechts tun wollen aber halt jetzt wo es um finanzielle Dinge geht, doch 'nen Rückzieher machen und ihm halt den Auftrag gegeben haben."

KOMMENTAR:

Den Vorwurf des Rückziehers weist die Stadt empört zurück. Man habe keine andere Wahl, ein Boykott von Kissel sei rechtlich unmöglich.

O-Ton

INGOLF DEUBEL Oberstadtdirektor Solingen:

"Ich glaube, Sie sind auf dem völlig falschen Dampfer. Wir sind in der Bundesrepublik gebunden an Recht und Gesetz. Ich bin überhaupt nicht damit zufrieden, daß, äh, ein Mensch wie Herr Kissel diese politische Meinung hat. Aber ich habe auch keine Alternative, äh, wenn es um die Auftragsvergabe geht."

KOMMENTAR:

Der Grund, an der Geschwister-Scholl Schule war Kissels Angebot für den Bau tatsächlich das billigste, wie auch sonst des öfteren.

O-Ton

MANFRED KRAUSE

Bündnis 90/Grüne:

"Ich denke, das ist ein moralischer Skandal erster Güte. Der hätte thematisiert werden müssen. Und es hätte allen Ratsparteien gut gestanden, wenn sie Herrn Kissel aufgefordert hätten, diesen Antrag nicht, äh, diesen Auftrag nicht anzunehmen bzw. sich erst gar nicht um diesen Auftrag zu bewerben."

O-Ton

MUSIK

KOMMENTAR:

Der Eiertanz mit den Bauaufträgen ist eine Sache. Kein Gesetz aber schreibt der ehrenwerten Gesellschaft von Solingen vor, den rechtsradikalen Baulöwen auch noch zu ihrem Aushängeschild zu machen. Denn der hat seit Jahren diverse Pöstchen, zum Beispiel ist er Chef der Bauinnung, vor kurzem wiedergewählt.

O-Ton

MANFRED FÜSSER Bauunternehmer:

"Ich habe ihn mit gewählt und Herr Kissel ist für mich ein ausgezeichneter Fachmann, der meine, die Interessen der Firma Rauh, bestens vertritt. Seine politische Meinung steht nicht zur Debatte innerhalb der Bauinnung. Was soll das denn, ob Herr Kissel jetzt seine Meinung zum Holocaust äußert? Ist das ausschlaggebend für eine 100-Jahr-Feier oder für 'ne 50-Jahr-Feier oder für 'ne CDU-Veranstaltung?"

O-Ton

MANFRED KRAUSE Bündnis 90/Grüne:

"Man versucht sich um den Fall des Bauunternehmers Kissel zu drücken. Und es ist mehr als widersprüchlich, wenn auf der einen Seite Aktivitäten von Jugendlichen die sich gegen Rechtsextremismus und gegen Rassismus richten unterstützt werden, aber auf der anderen Seite bei der Position Kissel und seinen vielen gesellschaftlichen Funktionen, die er in Solingen hat, beide Augen zugedrückt werden."

KOMMENTAR:

Wer schweigt, macht sich mitschuldig - das war die Solinger Mahnung nach dem Brandanschlag.

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 12.09.1996 | 21:00 Uhr

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