Stand: 10.11.2017 18:23 Uhr

"Rassismuskeule" ?

Jetzt komme Panorama mit der "Rassismuskeule", so lautet der Tenor vieler Antworten auf den Kommentar "'Besorgte Bürger' unterwandern Polizei". Und tatsächlich wird im Kommentar kritisiert, dass die Vorwürfe, rund um das Thema Polizeiakademie in Berlin, teilweise rassistisch konnotiert sind. Die wissenschaftlichen Hintergründe dafür erklären in einem Gastbeitrag die Migrationsforscher Tobias Linnemann und Shadi Rajabi.

In der Voicemail eines externen Dozenten an der Polizeiakademie in Berlin, die die Diskussion um die Polizeischule ins Rollen gebracht hat, heißt es: "Ich hab' noch nie so was erlebt, der Klassenraum sah aus wie Sau, die Hälfte Araber und Türken, frech wie Sau. Dumm. Konnten sich nicht artikulieren." Hier findet die Konstruktion einer Gruppe statt: Menschen, die sich selber vielleicht als Deutsche wahrnehmen, werden zu "Arabern und Türken". Diese Konstruktion einer Gruppe kann aus einer Rassismuskritischen Perspektive erklärt werden.

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Polizeischüler der Polizeiakademie Berlin

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Rassismus ist eine Herrschaftsform

Zunächst einmal bezeichnet "Rassismus" eine Herrschaftsform, die implizit oder explizit auf Rassekonstruktionen basiert und die mit Bezug auf entsprechende Identitätskategorien gesellschaftliche Verhältnisse der Dominanz legitimieren möchte.

Bei der Rassenkonstruktion, geht es um den Prozess des "Rasse"-Machens. Dieser gestaltet sich so, dass ein Merkmal z.B. Hautfarbe mit Bedeutung versehen wird und dadurch zum Kriterium für die Unterteilung von Menschen in verschiedene Gruppen wird. Die Gruppen werden zudem mit Eigenschaften verbunden. Der Konstruktionsvorgang selber wird jedoch unsichtbar gemacht und es wird so getan, als wären die zugeschriebenen Eigenschaften natürlich gegebene Wesensmerkmale.

Rassismus ist ein Platzanweiser

Polizeiakademie Berlin
In der Kritik: Die Polizeiakademie Berlin Spandau.

Bei dieser Konstruktion wird jedoch nicht nur die andere Gruppe definiert, denn gleichzeitig wird das eigene Selbst mitkonstruiert. In diesem Fall hieße das im Umkehrschluss: "Wir Deutschen sind hingegen schlau und ordentlich". Historisch lässt sich das z.B. daran nachvollziehen, dass Europäerinnen und Europäer im Zuge der Kolonisierung, etwa Afrika als das Andere definierten und sich selbst in spiegelverkehrter Abgrenzung zeitgleich als die Eigentlichen und Überlegenen konstruierten. Die Konstruktionen wirken als "Platzanweiser" und legen damit die Position der Gruppe in einer so sich erst etablierenden sozialen Ordnung fest. Wobei diese Festlegung nicht in Stein gemeißelt ist.

Kultur wird oft zum Sprachversteck für Rasse

Nach dem Nationalsozialismus wurde die Vorstellung von biologischen Rassen wissenschaftlich widerlegt. In Deutschland ist das Wort Rasse seitdem weitgehend diskreditiert. Damit verschwindet jedoch weder Rassismus noch Antisemitismus. Stattdessen wird nun der Begriff der "Kultur" prominent -  der oft auch als Sprachversteck für "Rasse" dient. Wissenschaftler sprechen dabei von "Rassismus ohne Rassen" oder von Kulturrassismus.

Die Unvereinbarkeit von Kulturen

Beim Kulturrassismus wird jetzt nicht mehr von "biologischen Rassen mit genetischem oder biologischem Mangel" gesprochen, sondern von "Kultur", die defizitär und rückständig ist, oder von der "Gefahr der Kulturvermischung". Im Kulturrassismus wird statt im Rückgriff auf "Rasse" nun mit "Kultur" Ausgrenzung legitimiert. Zunächst wird behauptet, dass Wertesysteme und Lebensformen von kulturellen Gemeinschaften in sich homogen, defizitär oder unvereinbar wären. Daran anschließend wird als sinnvoll und erforderlich dargestellt, die "kulturell andere" Gruppe müsse belehrt, beschränkt oder kontrolliert, vielleicht sogar "zurückgeführt" werden.

Auch in diesem Fall geht es immer wieder um Kultur

Schlagzeilen zur Berliner Polizeiakademie © Screenshot
Vereinfachende Berichterstattung schürt rassistische Ressentiments.

Auch in der aktuellen Debatte wurden viele Bezüge auf eine "andere" Kultur der Polizeischüler gemacht. So heißt es in einem anonymen Brief eines angeblichen LKA-Beamten, den der "Focus" zitiert: "Wenn Frauen als Vorgesetzte nicht mehr akzeptiert werden, weil sie Frauen sind, wenn Auszubildende sich beim Dienstschwimmen verweigern, weil in dem Becken vorher eine ‚Unreine’ geschwommen sein könnte, dann hört die Toleranz und Willkommenskultur und ‚Multikulti’ auf!"

Rassismus betrifft alle

Rassismus ist im Übrigen nicht nur vorrangig als ein individuelles Phänomen von Vorurteilen oder Einstellungen zu verstehen, also als eine Ausnahme- oder Randerscheinung. Sondern als ein Strukturmerkmal gesellschaftlicher Wirklichkeit. Rassismus betrifft alle - wenn auch auf unterschiedliche Art und Weise. Rassismus ist ein System, das einige privilegiert und andere benachteiligt.

Ein machtvolles System von Diskursen und Praxen, welches mit Rassenkonstruktionen operiert. Mit diesem System werden Ungleichbehandlung und hegemoniale Machtverhältnisse erstens wirksam und zweitens plausibilisiert. Als "echte" Deutsche markierte scheinen automatisch die besseren Polizistinnen und Polizisten zu sein, die immer höflich, respektvoll und frei von Gewalt agieren.

Die vereinfachende Betrachtungsweise der Vorkommnisse in Berlin, in der auch in den öffentlich-medialen Diskursen oftmals unkritisch zwischen "wir" und "die" unterschieden wird, wird den Problemen an der Polizeiakademie wohl kaum gerecht.

 

Tobias Linnemann und Shadi Rajabi forschen im Promotionskolleg "Migrationsgesellschaftliche Grenzformationen" der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg. Ihre Schwerpunkte liegen u.a. im Bereich Rassismuskritik.

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 10.05.2016 | 21:15 Uhr

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