Neue Rammstein-Tour gestartet - Interview mit Elnara Nuriieva
Rund ein Jahr ist es her, seit die Vorwürfe gegen Rammstein-Frontmann Till Lindemann öffentlich wurden. Nun startet die Deutschland-Tour. Die Aufregung ist abgeebbt, die Vorwürfe bleiben.
Panorama: Elnara Nuriieva, Sie waren selbst lange Rammstein-Fan und auf mehreren Aftershowpartys hinter den Kulissen dabei. In Dresden startet das erste Deutschlandkonzert der aktuellen Tour. Haben Sie ein Ticket?
Elnara Nuriieva: Nein. Letztes Jahr war ich bei einem Konzert im Olympiastadion in Berlin. Für mich fühlte es sich so an, als ob mein Teenager-Traum wahr geworden wäre. Ich habe das Konzert von der Bühne aus gesehen. Und ich war von sehr netten Freunden umgeben. Aber wenn Sie mich fragen, ob ich das Konzert genießen konnte, wie ich es früher genießen konnte? Dann war das nicht der Fall. Ich konnte es zum einen aufgrund der ganzen Diskussionen um Till Lindemann nicht. Aber ich war auch schon vorher immer weniger ein Fan und konnte die Musik immer weniger genießen. Ich habe irgendwann mitbekommen, wozu dieses ganze Rekrutierungssystem diente.
Wohin hat die öffentliche Diskussion um Rammstein im letzten Jahr geführt?
Nuriieva: Auf der einen Seite hat sie sich gelohnt, denn sie hat das Bewusstsein geschärft und viele Menschen dazu gebracht, über diese Dinge zu sprechen. Auf der anderen Seite glaube ich nicht, dass das Rekrutierungssystem jetzt tot oder zerstört ist. Es existiert nur in einer anderen Form. Und die Form ist versteckter, mehr innerhalb eines bestimmten Kreises. Die öffentliche Diskussion um Rammstein hat das System also nicht zerstört.
Sie sind dem Rekrutierungssystem rund um Till Lindemann einst ganz nah gekommen. Sie waren auf verschiedenen Aftershowpartys von ihm. Welche Einblicke hatten Sie in das System um die sogenannte Castingdirektorin Alena Makeeva?
Nuriieva: Ich hatte den Eindruck, dass Alena im Grunde das "Fleisch" für Lindemann aussucht. Sie fühlt sich total wichtig dadurch und sie glaubt, dadurch eine wichtige Aufgabe im Leben gefunden zu haben. Auf der einen Seite kenne ich Leute, die sich gerne darauf eingelassen haben, die Alena angefleht haben, sie mit Lindemann zu verkuppeln. Aber Alena hat zugleich in vielerlei Hinsicht mit den Gefühlen der Mädchen gespielt. Die sind einfach wahnsinnig verliebt gewesen, die wollten das Idol sehen, und bei einigen stellte sich heraus, dass sie nicht wussten, worauf sie sich eingelassen haben. Und Alena hat auch nie so richtig klar kommuniziert, worum es am Ende bei all dem eigentlich gehen sollte. Es blieb immer im Vagen und du musstest dir selbst erraten, was der eigentliche Plan war.
Warum, glauben Sie, gibt es dieses Rekrutierungssystem?
Nuriieva: Ich habe mich gefragt: Wenn Lindemann so sehr auf Sex mit Frauen steht, warum bezahlt er dann keine Prostituierten? Es gibt ja offizielle Dienste für so etwas. Aber ich vermute, das würde ihm keinen Spaß machen. Weil diese Prostituierten ihren Job machen würden. Sie würden dafür bezahlt werden, mit ihm Sex zu haben. Stattdessen gibt es Mädchen, also Fans, die ihn einfach anhimmeln, so wie er ist. Die mit ihm Sex haben wollen. Er füttert vermutlich sein Ego damit.
Sie haben auch die Castingdirektorin Alena Makeeva kennengelernt. Wie lief das ab?
Nuriieva: Ich habe sie als Fan kennengelernt, der für die Dreharbeiten zum Videoclip des Songs „Platz Eins" aus Lindemanns Soloprojekt nach Sankt Petersburg fliegen durfte. Ich habe damals an den Dreharbeiten als Komparsin teilgenommen. Dann habe ich versucht, zu verstehen, wer sie ist, welche Rolle sie hat. Nachdem ich in diesem Video mitgespielt hatte, habe ich ihr eine Nachricht geschickt und dann hat sie mich zu einer großen Whats-App-Gruppe hinzugefügt, mit mehr als 100 Frauen, in der auch Mädchen für die Aftershowparty bei den Konzerten ausgesucht wurden.
Wie haben Sie den Dreh zu dem Videoclip erlebt?
Nuriieva: Es war sehr professionell. Und es war eine wirklich tolle Erfahrung. Was mir im Nachhinein nicht gefiel, war, dass ich feststellte, dass die Endversion des Videos Pornoszenen enthielt, wovon ich vorher nichts wusste.
Wie hat sich das Verhältnis zu Alena Makeeva weiterentwickelt?
Nuriieva: Für ein Konzert im Jahr 2020 suchte Alena Tänzerinnen für die Bühne bei der Lindemann-Tour. Da dachte ich, das könnte ich machen: ich tanze gerne, ich liebe die Bühne, also warum nicht? Wir sollten mit Masken auftreten. Ich habe damals die Kostüme und all das besorgt und hatte auch Kontakt zu Alena. Sie hat die Mädchen für dieses spezielle Konzert gecastet. Sie hat sie in einer Gruppe per WhatsApp zusammengebracht und dann hat sie gesagt: Ich kann nicht nach Deutschland kommen. Sie sagte: Elnara, könntest du das bitte koordinieren, weil du zu diesem Konzert kommst? Du bist nur da, um sicherzustellen, dass die Mädchen zusammenkommen. Ich sollte die Frauen auf die Bühne als Tänzerinnen und danach zur Aftershowparty bringen. Damals habe ich nicht gewusst, worum es am Ende genau gehen sollte. Als ich später dann gemerkt habe, wozu dieses Rekrutierungssystem diente, habe ich mich davon distanziert.
Was ist Ihrer Meinung nach problematisch an dem Rekrutierungssystem?
Nuriieva: So richtig wurde mir das Ausmaß bei einer Aftershowparty in Moskau bewusst. Die war besonders ekelhaft. Ich habe gesehen, wie die Mädchen in Gruppen geholt wurden, zehn oder 20 an der Zahl, und in einer Schlange standen, um in diesen kleineren Raum zu kommen. Alena war für all das verantwortlich. Und die Mädchen haben Fragen gestellt wie: Wofür ist diese Schlange? Kann ich da auch reinkommen? Was in dem Raum genau passiert ist, weiß ich nicht. Aber es war schon klar, dass es nicht darum geht, ein weiteres Autogramm zu bekommen oder so. Dieses ganze System ist furchtbar. Hier wurde mit den Gefühlen junger Frauen gespielt.
Wie blicken Sie heute auf all das zurück?
Nuriieva: Ich bereue das alles nicht, weil ich sonst die Geschichte dahinter nicht kennen würde. Vielleicht wäre ich ein glücklicherer Mensch, würde ich einfach immer noch Rammstein hören und die Shows genießen. Aber auf der anderen Seite haben die Dinge, die ich zu sehen bekommen habe, in mir auch ein Bewusstsein geweckt. Zur Frage, was ich, als Frau will. Welche Art von Beziehung ich als Frau haben will. Wie ich behandelt werden will.
Das Interview führte Sebastian Pittelkow, Ressort Investigation des NDR.
Till Lindemann lässt über seinen Anwalt mitteilen, Sex am Rande von Konzerten sei immer einvernehmlich gewesen. Alena Makeeva ließ zahlreiche Anfragen unbeantwortet.
Wenn Sie mehr über das Rekrutierungssystem, die Schilderungen der mutmaßlich betroffenen Frauen und Elnara Nuriieva hören wollen, dann können Sie das im Podcast "Rammstein - Row Zero" - in der ARD-Audiothek und überall, wo es Podcasts gibt.