Missbrauchsprozess: Wie viel Schuld hat das Jugendamt?
Vor dem Landgericht Kaiserslautern muss sich zurzeit der 43-jährige Pädagoge Stefan S. wegen Verdachts auf sexuellen Missbrauch verantworten. Die Staatsanwaltschaft wirft dem ehemaligen Leiter des Kinderheims "Spatzennest" im pfälzischen Ramsen Missbrauch in 22 Fällen vor. Hat er das das Kinderheim als Kulisse für seine sexuellen Verbrechen aufgebaut? Denn Stefan S. ist nicht irgendwer: Er leitete ein Jugendheim in Ramsen bei Worms: das "Spatzennest".
Vor 18 Jahren kamen sechs Kinder hier her. Angeblich waren sie von ihren Eltern sexuell missbraucht worden. Stefan S. kümmerte sich um die Kinder im "Spatzennest" und war gleichzeitig Hauptbelastungszeuge in dem spektakulären Prozess gegen die Eltern, dem Wormser Missbrauchsprozess 1994.
Wormser Missbrauchsprozess endet 1994 als schwerer Justizirrtum
Der damalige Prozess gilt als einer der schwersten Justizirrtümer der bundesdeutschen Geschichte. Alle angeklagten 25 Eltern wurden freigesprochen. Alle Kinder kehrten zu ihren Eltern zurück. Nur nicht die sechs Kinder aus dem Spatzennest. Hier hatte Stefan S. das Sagen. Er war von der Schuld der Eltern überzeugt und verhinderte, dass die Kinder wieder Kontakt zu ihren Eltern aufnehmen konnten.
Diesen Vorwurf erhebt der Bielefelder Psychologie-Professor Uwe Jopt. Er beklagt, das Jugendamt Worms habe gemeinsam mit S. gezielt jeden Ansatz zunichte gemacht, die Kinder wieder in Kontakt mit den Eltern zu bringen. Panorama hat bereits zweimal über diesen außergewöhnlichen Fall von Behördenversagen berichtet. Jetzt wirft der Staatsanwalt Stefan S. vor, zwischen 1994 und 2006 - 12 Jahre lang - sechs Mädchen sexuell missbraucht zu haben. Drei der mutmaßlichen Opfer sind Kinder aus dem Wormser Missbrauchsprozess, Mädchen, die ihr ganzes Leben in seiner Obhut groß geworden sind, die nie mehr Kontakt zu ihren Eltern hatten.
Welche Verantwortung tragen die Behörden?
Hat Stefan S also sein Kinderheim als Schutzschild genutzt, um seine sexuellen Perversionen auszuleben? Haben die Aufsichtsbehörden - das Jugendamt und der verantwortliche Wormser Bürgermeister Georg Büttler - versagt? Stefan S. bestreitet alle Vorwürfe. Aber der jetzt laufende Prozess ist nicht das erste Verfahren gegen ihn. 2003 hatte die Staatsanwaltschaft wegen sexuellen Missbrauchs zum ersten Mal gegen ihn ermittelt. Das Verfahren wurde wegen Mangels an Beweisen eingestellt. 2008 wurde der Sozialpädagoge dann wegen sexuellen Missbrauchs zu einem Jahr auf Bewährung verurteilt. Er hatte Mädchen bei einer Ferienfreizeit im Genitalbereich eingecremt. Nach diesem Prozess hatte sich ein weiteres mutmaßliches Opfer an die Staatsanwaltschaft gewandt und neue Vorwürfe erhoben.
Der nun laufende Prozess wird nicht nur klären müssen, ob Stefan S. tatsächlich ein pädophiler Verbrecher ist. Er wird auch die Frage aufwerfen, welche Verantwortung die Behörden tragen. Und vielleicht, darauf hoffen wohl die Eltern, ist das Verfahren eine Chance, endlich - nach nunmehr 18 Jahren - ihre Kinder wieder zu sehen.