Justiz: Mindeststandards für Gerichtsgutachten?
Endlich sind sie da: Die "Mindestforderungen an die Qualität von Sachverständigengutachten". In Zukunft sollen alle Gutachten "Transparenz, Nachvollziehbarkeit und wissenschaftlich fundiertes Vorgehen" nachweisen, soll heißen: Gutachten sollen in Zukunft nicht mehr irgendwie geschrieben werden. Diese Mindestanforderungen sind bitter nötig. Panorama hatte bereits seit 2013 mehrfach über mangelhafte Gutachten berichtet:
Grundlage falscher Entscheidungen
In Familiensachen sind Gutachten die wichtigste Grundlage für die richterliche Entscheidung. Wenn ein Gutachten wegen Qualitätsmängeln zu einem falschen Ergebnis kommt, könnte auch ein Richter eine falsche Entscheidung treffen. Und genau das wies das Bundesverfassungsgericht zwei Richtern nach. In dem nun fraglichen Fall (BvR 1178/14) ging es um einen Vater aus Ghana, der um seine Tochter kämpfte. Sie war nach einer Entscheidung des Amtsgerichts Paderborns und des OLG Hamms in einer Pflegefamilie untergebracht - auf Anraten eines Gutachtens.
Dieses Gutachten hauten die Verfassungsrichter ihren Richterkollegen geradezu um die Ohren: Das Gutachten verfehle schon die grundsätzliche Fragestellung "in mehrerlei Hinsicht", die Herkunft des Vaters werde "in sachlich nicht nachvollziehbaren Maße negativ bewertet" und die Gutachterin habe "zahlreiche Feststellungen zu Lasten" (des Vaters) gemacht, "die in keinem erkennbaren Zusammenhang" mit der Fragestellung stehen.
Neue Mindeststandards
Was dem Vater aus Ghana passiert ist, soll sich nicht wiederholen dürfen. In den Mindestanforderungen steht etwa: "Untersuchungsergebnisse müssen im Berichtsteil ohne Wertung (neutral) dargestellt werden", oder: "Sachverständige nehmen aus ihrer fachlichen Sicht nur zu den aufgeworfenen Fragen Stellung". Nun kann man sich freuen, dass Qualitätsmindeststandards formuliert wurden. Doch nüchtern betrachtet sind sie erst mal nur eines: Selbstverständlichkeiten. Und sie sind vor allem das Eingeständnis aller Experten samt Bundesjustizministerium, dass es derzeit nicht darum geht, gute Gutachten besser zu machen. Sondern es geht schlicht darum, Gutachten überhaupt für das Gericht verwertbar zu machen.
Doch für Fehlurteile durch schlechte Gutachten tragen nicht nur die Gutachter selbst die Schuld, sondern auch die Richter. Die Bundesverfassungsrichter fanden für die Arbeit der Richter klare Worte: In dem Fall haben die zwei Richter das Gutachten nur "ansatzweise eigenständig" eingeordnet und nicht einer zwingenden "rechtlichen Würdigung unterzogen". Die Ausführungen des Amtsgerichts seien nur "knapp gehalten", die des OLGs "mit 16 Zeilen sehr dürftig" ausgefallen, soll heißen: Die Richter haben einfach alles blind vom Gutachten übernommen und nichts selbständig überprüft.
Als der Vater aus Ghana begutachtet wurde, gab es bereits Qualitätsstandards für solche Gutachten. Neu ist jetzt, dass nicht ein einzelner Verband sich bemüht, sondern sich alle wichtigen Verbände gemeinsam auf diese Standards geeinigt haben. Gesetzlich sind sie allerdings weiterhin nicht verankert - alles auf freiwilliger Basis.
Richter können Gutachter nach wie vor frei bestimmen
Und auch noch immer können Richter jeden zum Gutachter machen, den sie für sachverständig halten. Panorama hatte über einen Fall berichtet, bei dem ein Vater sein Sorgerecht verlor, nachdem er psychologisch begutachtet wurden - von einer Heilpraktikerin. In einem Referentenentwurf des Bundesjustizministeriums ist nun vorgesehen, dass Gutachter für Familiensachen endlich eine Mindestausbildung vorweisen müssen.
Doch noch ist das Gesetz nicht da und die Qualitätsstandards freiwillig. Am Ende haben es deshalb die Richter in der Hand: Sie entscheiden, wer ein Gutachten für sie verfassen darf und ob ein Gutachten überhaupt gut genug ist, damit es akzeptiert werden kann. Die Richter dürfen frei wählen, nur so sind sie unabhängig. Sie tragen aber auch die Verantwortung. Auch das ist eine Selbstverständlichkeit - eine, an die sich jeder Richter immer erinnern sollte.