Ineffektiv, ungerecht und inhuman: Der Elternunterhalt
Ein Kommentar von Tina Soliman
Die Familie wird gebraucht, weil es ohne sie nicht geht: Solidarität, familiäre Bande, Fürsorge - wahre Werte werden vorgeschoben, um den Staat finanziell zu entlasten. Eltern haften für ihre Kinder und Kinder für ihre Eltern, so heißt es, und so soll Familiensolidarität funktionieren. Doch beim Elternunterhalt geht es mitnichten um die Stärkung der Familie. Es geht um die Entlastung des Staates!
Das bestreitet selbst der Pflegebeauftragte der Bundesregierung Karl-Josef Laumann nicht: "Heute ist es ja so, dass die Leistungen für eine Pflegeversicherung plus eine reguläre Rente die Kosten für eine stationäre Pflege im Regelfall nicht decken. Dann geht’s an das Vermögen der betreffenden Menschen. Ist das Vermögen aufgebraucht, zahlt erst einmal die Kommune Pflegeleistungen über die Sozialhilfe und die Kommune prüft dann gibt es Kinder von denen wir uns das wiederholen können".
Laut Rechtsprechung sind Verwandte in gerader Linie verpflichtet, einander Unterhalt zu gewähren. Diese Pflicht kann nur eingeschränkt werden, wenn der Unterhaltsberechtigte sich vorsätzlich einer schweren Verfehlung gegen den Unterhaltspflichtigen schuldig gemacht hat. Die Unterhaltspflicht entfällt komplett, wenn sie der Gerechtigkeit in "unerträglicher Weise" widerspricht. Als "unerträglich" gilt sexueller Missbrauch. Schläge aber, seelische Grausamkeit und Kontaktabbruch reichen nicht aus, sich der Unterhaltspflicht zu entziehen. Und so soll es auch bleiben: "Wir haben in der BRD eine klare Rechtslage: Eltern haften für ihre Kinder, aber auch Kinder müssen unter bestimmten Umständen für ihre Eltern einstehen in der Haftungskette. Ich glaube auch, dass wir diesen Haftungsgrundsatz nicht aufgeben dürfen", so Karl-Josef Laumann.
Das Gesetz hält also an familiären Banden fest, auch wenn diese längst zerrissen sind. Das jüngste Urteil des Bundesgerichtshofs unterstrich noch einmal diesen Gedanken, befand jedoch Familienbande nur bis zum 18. Lebensjahr für nötig. Es ging darum, dass ein Sohn, der von seinem Vater entweder geschlagen oder ignoriert wurde, zahlen sollte. Der Vater hatte kurz vor dem 18. Geburtstag des Sohnes den Kontakt abgebrochen und ihn - bis auf den Pflichtteil - enterbt. Der Sohn versuchte über Jahre mehrfach, den Kontakt wieder aufzunehmen, wurde aber immer wieder abgewiesen.
Das OLG Oldenburg gab dem Sohn, der nicht zahlen wollte, Recht: Wer sich bewusst und dauerhaft von jeglichen Beziehungen persönlicher und wirtschaftlicher Art zu seinen Kindern ablöst, stellt sich selbst außerhalb des familiären Solidarverbandes. Der Vater habe willentlich das Familienband zerrissen. Ein grober Mangel an verwandtschaftlicher Gesinnung sei offensichtlich. Der Unterhaltsanspruch legitimiere sich nicht unmittelbar aus dem rechtlichen Status der Verwandtschaft, sondern hat seine Wurzeln in der familiären Solidarität und Verantwortung. Kurz: Man könne niemanden zwingen den Grundsatz der Solidarität zu leben, wenn es an der tragfähigen familiären Bindung fehlt.
Der Bundesgerichtshof dagegen beruft sich auf § 1618a: "Eltern und Kinder sind einander Beistand und Rücksicht schuldig". Der Kläger muss laut BGH für seinen Vater aufkommen, obwohl der jahrzehntelang nichts von seinem Sohn wissen wollte. Beleidigungen, Schläge und Abwehr seien kein Grund, sich aus der Verantwortung zu stehlen, wenn der Vater bis zum 18. Lebensjahr für das Kind "gesorgt" hat, wie auch immer die Sorge aussah. Auch dass er den Sohn enterbt hat, spielt keine Rolle. Der BGH stellt auf den rechtlichen Vater ab und weicht damit der moralischen Schuldfrage aus.
Familiäre Bande enden also, folgt man dieser Logik, mit 18 Jahren. Mit der Qualität familiärer Beziehungen, die auch durch Kontinuität bestehen, hat das wenig zu tun. Nüchtern betrachtet, handelt es sich beim Elternunterhalt also um ein wechselseitiges Austauschverhältnis, eine Art Vertragsverhältnis. Wir schulden Elternunterhalt, weil es so in einem 100 Jahre alten Gesetz steht. Und weil die Pflege teuer ist, und Renten- und Pflegeversicherung sowie Steuern nicht ausreichen, um die Pflegekosten zu decken, werden diejenigen, die nach einem Selbstbehalt und einem Schonvermögen noch etwas übrig haben, zur Kasse gebeten.
Immerhin: Der Sozialhilfeempfänger, der nichts hat, muss nicht für seine Eltern zahlen und auch der Vermögende wird sich entziehen können. Je höher die soziale Schichtzugehörigkeit der Eltern, desto unwahrscheinlicher wird es, dass diese jemals unter die Grenze des Existenzminimums abrutschen und damit unterhaltsberechtigt werden. Es trifft also vor allem die sogenannte "Sandwichgeneration“, die heute 40- bis 60-Jährigen. Sie zahlen Unterhalt für die Kinder, leisten hohe Sozialbeiträge, müssen Eigenvorsorge treffen und sollen dann auch für ihre Eltern aufkommen. Damit fühlt sich die mittlere Generation zunehmend überfordert.
Grundsätzlich besteht gar kein Zweifel darüber, dass man gerne für seine Eltern aufkommt, wenn man denn kann. Doch die Fälle, die vor Gericht verhandelt werden, sind Lebensgeschichten, bei denen es um zerrüttete Familienverhältnisse geht, um körperliche, aber auch seelische Gewalt, Kontaktabbrüche und Ablehnung. Hier werden nachträglich Familienbande geknüpft, die es nachweislich nicht gab. Dagegen wehren sich die erwachsenen Kinder, die unter einer traumatischen Kindheit litten und nun noch einmal mit dieser Zeit konfrontiert und belastet werden.
Bei der Durchsetzung des Unterhaltsanspruchs geht es in Wahrheit um die Finanzierung der Pflegebedürftigkeit. Es geht um den Wert des Geldes und nicht um den Wert der Familie - so viel Ehrlichkeit muss sein. Hinter allem steht ausschließlich ein fiskalisches Interesse und mitnichten ein Interesse an der Familie - sonst würde man auch auf die Qualität der familiären Beziehung schauen.
Und auch die Effektivität des Elternunterhaltes ist zweifelhaft. Eine ökonomische Analyse kommt zu dem Schluss, dass die fiskalische Bedeutung des Elternunterhalts von Wissenschaft und Politik maßlos überschätzt wird. Selbst unter günstigsten Annahmen werden durch den Sozialhilferegress max. Zwölf Millionen Euro pro Jahr an fiskalisch wirksamen Einnahmen generiert. Dies begründet sich nicht zuletzt durch die sehr hohen Verwaltungskosten, die für die Bearbeitung der Regressfälle bei den Sozialhilfeträgern entstehen. Diese zwölf Millionen Euro sind im Hinblick auf die Belastbarkeit der öffentlichen Haushalte bedeutungslos; sie entsprechen nicht einmal 0,002 Prozent des Gesamtsteueraufkommens.