Her mit den Körperdaten, oder es wird teuer!
Ein rotes Trikot leuchtet im Nieselregen auf. Michael Damm fährt in rasantem Tempo durch das Grau der Uckermark. Sein Körper dampft. Der 30-jährige aus Templin atmet aus, immer im Rhythmus. Herzfrequenz: 127, zurückgelegte Kilometer: 25, verbrauchte Kalorien: 557. Jede seiner Aktivitäten misst und speichert Damm auf seinem Handy mit einer Fitness-App namens Dacadoo. Seine Versicherung hat ihn auf die Idee gebracht, die App zu nutzen.
Die AOK Nordost kooperiert mit der Fitness-App Dacadoo. 760 AOK-Versicherte nutzen die App. Vor drei Jahren versuchte die Versicherung, ihre Mitglieder mit einem Angebot dazu zu bringen, die App zu nutzen: Dasjenige Mitglied, das die App nutzt und im Monat Juni 2012 die meisten Kilometer schafft, gewinnt einen Fahrradgutschein im Wert von 500 Euro. "Das war der Anreiz, die App zu nutzen", sagt Michael Damm. Er speicherte in der App 1111,11 abgefahrene Kilometer, 22.733 verbrannte Kalorien bei einer durchschnittlichen Herzfrequenz von 126 - und gewann das Fahrrad.
Versichert basierend auf dem Lebensstil?
Ein Problem kann er darin nicht erkennen. Im Gegenteil: Damm wünscht sich, dass es mehr Gelegenheiten gäbe, von der Preisgabe der Gesundheitsdaten zu profitieren. "Ich würde weitere Einblicke in Kauf nehmen, wenn man dadurch Vorteile hätte - etwa noch 10 Euro im Monat sparen."
Dacadoo-Gründer Peter Ohnemus ist überzeugt davon, dass Damms Wunsch in der Zukunft in Erfüllung gehen wird. Ohnemus prognostiziert: "Die Versicherung der Zukunft hat eine Basisversicherung und eine Zusatzversicherung basierend auf Ihrem Lebenstil." Der gebürtige Däne Ohnemus hat die App in Zürich entwickelt. Tagsüber misst sie nicht nur alle Bewegungen, sondern sie kann auch Werte der Ernährung, des Gemütszustandes, Blutdruck- oder Cholesterinwerte speichern. Nachts bewertet die App die Qualität des Schlafes. Peter Ohnemus wollte ein möglichst allumfassendes Modell schaffen. "Es geht darum, das ganze tägliche Leben zusammenzufassen - in einer Zahl", sagt Ohnemus. So berechnet die App aus allen eingehenden Informationen für jeden Moment den sogenannten Gesundheitsindex. Es ist eine Zahl zwischen eins und 1000, dem Maximum.
Individuelles Risiko berechenbar
Michael Damm hat gerade einen Wert von 718. Er entschuldigt sich: "Ich bin Vater geworden, da komme ich nicht oft dazu, Sport zu machen." Der App ist das auch schon aufgefallen, denn sie erinnert den Nutzer an einen gesunden Lebensstil: Wenn der Nutzer sich gesund und fit hält, lobt sie. Und wenn der Nutzer faul war, warnt sie. "So hat man immer einen kleinen Piekser von hinten, der sagt: "Lauf doch noch ein bisschen mehr!", sagt Michael Damm.
Für die Versicherungen ist das verlockend. Sie erhalten umfassende Informationen über den Gesundheitszustand der Versicherten und können individuelle Risiken hochrechnen. Mehr Effizienz in der Risikoberechnung bedeutet mehr Gewinne für die Versicherung. In den USA ist dies bereits Praxis. In Deutschland will die private Versicherung Generali ihren Versicherten 2016 Tarife für eine kontrollierbar gesündere Lebensweise anbieten.
In unserer Zukunft werden die Versicherungen wohl davon profitieren, dass Menschen wie Michael Damm ihre intimsten Gesundheitswerte teilen - gegen eine Belohnung oder einen Rabatt. So werden künftig zunächst nicht die Schwachen, die Alten und die Kranken aktiv ausgegrenzt, sondern vordergründig die Starken, die Jungen und die Gesunden für ein bestimmtes Verhalten belohnt. Dafür können sie Geld sparen. Für alle anderen wird es wohl teurer.
Bestimmt bald der Lebensstil die Tarife?
Auch der Vorstandsvorsitzende der AOK Nordost, Frank Michalak, ist überzeugt davon, dass der Lebensstil bald die Tarife zumindest von privaten Versicherungen bestimmen wird. "In der Privaten Kasse wird es so sein, das will ich gar nicht abstreiten", sagt er: "Nicht aber in der gesetzlichen Krankenkasse." Dort sind vorläufig nur kleine Vergünstigungen durch Prämienprogramme möglich.
Noch in diesem Jahr will die AOK Nordost eine eigene App rausbringen und prüft die Anbindung an ein Prämienprogramm. Das haben auch schon andere gesetzliche Krankenkassen gemacht. Allerdings sieht Michalak die App der AOK schon weiter als die der anderen Krankenkassen. "Dort können sie manuell bestimmte Leistungen eingeben. Bei uns aber wird real life gemessen."