Freiheit der Berichterstattung gestärkt
Transkript NDR Radiobeitrag 19.5.2023
Nina Zimmermann, Moderatorin NDR Info: In dieser Woche hat der Bundesgerichtshof ein Urteil gesprochen, auf das viele hier auch bei uns im NDR mit besonderer Spannung gewartet haben. Wir wollen Ihnen erzählen, warum. Denn hier bei der Info im Dialog machen wir immer wieder transparent und auch nachvollziehbar, worüber wir in der Redaktion diskutieren und wie wir arbeiten. Bei diesem BGH-Urteil ging es um einen Rechtsstreit zwischen dem früheren Chef der Warburg Bank, Christian Olearius, und der "Süddeutschen Zeitung". Der BGH hatte jetzt der SZ Recht gegeben und damit auch dem NDR. Denn Olearius hatte in derselben Sache auch den NDR verklagt, und der NDR hatte sich an das BGH Verfahren angehängt, wie es bei den Juristen heißt. Und den NDR Juristen Klaus Siekmann habe ich deshalb zu mir ins Studio geholt. Gemeinsam mit Volker Steinhoff. Er ist Leiter der Panorama Redaktion, um darüber zu reden, warum dieses Urteil weitere Auswirkungen auf die journalistische Arbeit haben wird. Und zuerst soll Volker Steinhoff, darum habe ich ihn gebeten, uns nochmal erklären, worum es ging bei dieser Auseinandersetzung mit dem früheren Chef Olearius. Wie war der Verlauf?
Volker Steinhoff: Also die Grundfrage war: Warum hat die Stadt Hamburg für das Jahr 2016 50 Millionen € der Warburg Bank gelassen? Das war Geld, das Warburg Bank mit Cum Ex Geschäften illegal gemacht hatte. Und dann hat Panorama enthüllt im Februar 2020, dass sich der Chef der Warburg Bank mit dem Bürgermeister, und das war Olaf Scholz, getroffen hatte, was ein bisschen pikant war. Quelle dafür war ausgerechnet das Tagebuch von dem Chef der Warburg Bank, Olearius. Und am Ende kam die Frage auf Gab es da eine Einflussnahme der Warburg Bank auf die Stadt Hamburg, dass sie eben die 50 Millionen nicht verlangt? Im September 2020 haben wir dann einen weiteren Bericht gemacht, da hatten wir weitere Treffen enthüllt zwischen Scholz und Olearius, und wir hatten wieder dieses Tagebuch als Quelle. Und dieses Mal war die "Süddeutsche Zeitung" mit dabei.
Nina Zimmermann: Klaus Siekmann aus dem NDR Justitiariat ist auch bei mir. Nachdem NDR und SZ ihre Cum Ex Recherchen veröffentlicht und im Jahr 2020 aus dem Tagebuch von Olearius zitiert hatten. Was geschah dann?
Klaus Siekmann: Ja, Herr Olearius ist dann in zwei getrennten Verfahren gegen SZ und NDR gerichtlich vorgegangen mit dem Argument: verbotenes Zitieren aus Ermittlungsakten. Das Landgericht und auch das OLG Hamburg haben dann ganz überwiegend Herrn Olearius Recht gegeben. Das OLG Verfahren des NDR wurde jedoch ausgesetzt und an den Ausgang des BGH Verfahrens der SZ angehängt.
Nina Zimmermann: Und Herr Siekmann, was genau hat der BGH jetzt entschieden?
Klaus Siekmann: Der BGH hat, anders als die Vorinstanzen, erstmals entschieden, dass das strafrechtliche Verbot des Zitierens aus Ermittlungsakten vor der Erörterung im Hauptverfahren im Zivilrecht nicht starr angewandt werden darf. Speziell bei Zitaten in Presseberichten ist vielmehr auch hier eine Abwägung mit dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit geboten.
Nina Zimmermann: Man könnte doch auch argumentieren, das Zitieren aus einem privaten Tagebuch wie damals geschehen, ist ein Eingriff in die Persönlichkeitsrechte?
Klaus Siekmann: Ja, aber im Fall Olearius hat der BGH ein überragendes Informationsinteresse der Öffentlichkeit am Inhalt seiner Tagebuchaufzeichnungen angenommen, das gewichtiger ist als die persönlichkeitsrechtlichen Belange von Herrn Olearius. So heißt es in der Pressemitteilung des BGH: Den wörtlichen Zitaten kommt ein besonderer Dokumentationswert im Rahmen der Berichterstattung zu. Sie dienen dem Beleg und der Verstärkung der Aussage, es dränge sich der Verdacht auf, dass hochrangige Hamburger Politiker Einfluss auf Entscheidungen der Finanzbehörden im Zusammenhang mit Steuer-Rückforderungen nach Cum Ex Geschäften genommen hätten, und dies habe Herr Olearius hinzunehmen. Außerdem hat der BGH den Anwendungsbereich der Strafrechtsvorschrift beschränkt auf sogenannte amtliche Dokumente, zu denen private Aufzeichnungen wie die Tagebuchaufzeichnungen auch dann nicht gehören, wenn sie wie hier durch eine Beschlagnahme zum Akteninhalt geworden sind.
Volker Steinhoff: Das heißt, um das noch mal meinen Worten zu sagen Der Bundesgerichtshof ist weiter gegangen, als nur diese Vorschrift auszulegen zum Zitieren aus Ermittlungsakten. Der Bundesgerichtshof hat von sich aus gesagt, der Bericht über den Verdacht gegen Scholz war legitim. Da gibt es noch ein schönes Zitat. Er hat geschrieben: "Mit der wortlautgetreuen Wiedergabe der Tagebuchaufzeichnungen hat die Beklagte, also der NDR, einen Beitrag zum geistigen Meinungskampf in einer die Öffentlichkeit in höchstem Maße berührenden Frage geleistet." Das sind Worte, die unsere Kritiker bestimmt nicht gerne hören, die es vor allem hier in der Stadt Hamburg gab, in der SPD und bei den Lokaljournalisten, die damals kritisiert hatten, Panorama hätte Scholz ohne Grund verdächtigt. Jetzt gibt es von allen Seiten natürlich Lob. Und ich bin gespannt, ob es hier auch in Hamburg ein Umdenken gibt.
Nina Zimmermann: Mit diesem ganzen Thema soll sich ja in Zukunft nicht nur der parlamentarische Untersuchungsausschuss in Hamburg, sondern eben auch ein Untersuchungsausschuss im Bundestag befassen, wenn es nach der CDU geht, weil die strebt das ja an. Was bedeutet denn diese BGH Entscheidung dafür?
Volker Steinhoff: Rückenwind für die CDU, weil die SPD Argumentation, nach der der Hamburger Untersuchungsausschuss ja nichts hervorgebracht hatte, jeder Verdacht widerlegt sei, damit in sich zusammenfällt und es nun laut BGH tatsächlich Grund für einen neuen, weiteren Ausschuss gibt, um diesen Verdacht zu überprüfen.
Klaus Siekmann: Insgesamt kann man sagen, stärkt diese BGH Entscheidung die Freiheit der Berichterstattung der Medien über Vorwürfe, die im Zuge laufender Ermittlungsverfahren erhoben werden.
Nina Zimmermann: Soweit Klaus Siekmann aus dem NDR Justitiariat und Volker Steinhoff, Leiter der NDR Panorama Redaktion, zu dem Urteil des BGH in dieser Woche zu den Verfahren des früheren Warburg Bankchefs Olearius gegen die "Süddeutsche Zeitung" und den NDR. Dieses Gespräch habe ich in dieser Woche aufgezeichnet.