Die Rausschmeißer - Feuern um jeden Preis
Irgendwann wurde es ihm zu viel. Jahrelang hatte er unter anderem Namen gelebt, an immer anderen Orten, mit immer neuen Legenden. Jahrelang hat er seinen Opfern übel mitgespielt. Der Mann war Detektiv, wurde in Unternehmen eingeschleust, wenn kapitalkräftige Arbeitgeber unliebsame Betriebsräte mit offenbar illegalen Methoden loswerden wollten. Doch irgendwann konnte er nicht mehr.
Jetzt sitzt er in einem Hamburger Loft und wird für seinen Auftritt vor der Kamera maskiert. Damit ihn niemand erkennt. Denn er will ein neues Leben beginnen. Und auspacken. Darüber wie er unliebsame Arbeitnehmer regelrecht in Fallen gelockt, ihnen falsche Aussagen oder sogar Gewalt-Taten angedichtet hat.
Fallen für unliebsame Arbeitnehmer
In vielen seiner Aufträge spielte offenbar der bekannte Rechtsanwalt Helmut Naujoks eine Rolle. Der bekannte Rechtsanwalt, der sich öffentlich damit brüstet, er vertrete nur Arbeitgeber und könne bewirken, dass auch eigentlich unkündbare Betriebsräte ihren Job verlieren, immer "im Rahmen der rechtlichen Möglichkeiten", wie Naujoks behauptet.
Die Aussagen des ehemaligen Detektivs lassen daran Zweifel aufkommen. Er erzählt wie er jahrelang mit Anwalt Naujoks zusammengearbeitet hat, wie er unter anderem als Agent Provokateur agiert und mit Wissen von Naujoks Äußerungen von Betriebsräten bezeugt habe, die so nie gefallen seien. Um Kündigungsgründe zusammen zu bekommen, habe man sich sogar belastende Vorfälle ausgedacht und die den jeweiligen Opfern zugeschrieben, damit die dann gefeuert werden konnten.
Dem Rechercheteam von NDR, WDR und SZ wurde umfangreiches Datenmaterial zugespielt: Dokumente, Verträge, Rechnungen, interne Kommunikation. Es bestätigte die Abläufe, die der Detektiv schilderte. Zwar gibt es keinen Beweis, dass Naujoks über alle schmutzigen Methoden der Detektive Bescheid wusste. Es fanden sich aber deutliche Indizien dafür, dass der Anwalt und sein Netzwerk im Auftrag von Arbeitgebern mit indiskutablen Mitteln kämpfen.
Belastende Vorfälle ausgedacht
So wie im Fall eines Pflegeheims in Bad Nauheim, wo man zwei Betriebsrats-Frauen loswerden wollte. Hier wurde der Informant, zusammen mit anderen Detektiven, als vermeintliche Aushilfskräfte eingeschleust. Sie hätten in Absprache mit der Heimleitung kompromittierende Situationen geschaffen, um Kündigungsgründe zu schaffen. So wurde einer Betriebsrätin wahrheitswidrig angelastet, sie habe Alkohol am Arbeitsplatz getrunken, was streng verboten war; einer anderen Betriebsrätin sei mit einer falschen Zeugenaussage angedichtet worden, sie habe einem Kollegen ins Gesicht geschlagen. E-mails der Heimleitung, die NDR, WDR und SZ vorliegen, nähren den Verdacht, dass Anwalt Naujoks über die Vorgänge informiert wurde. Die Heimleitung äußerte sich auf Anfrage nicht; der Vorgang sei abgeschlossen.
Morddrohungen angedichtet
Bei einem Automobilzulieferer in Süddeutschland wurden die Detektive ebenfalls auf missliebige Betriebsräte angesetzt. Diese sollen sie ausspionieren und zwar auf - Zitat - "Schwächen, Frauen, Geldprobleme, sonstige Vorlieben". Als sie zunächst nichts finden, fangen sie an, Kündigungsgründe zu konstruieren. Erst erfinden sie einen massenhaften Drogenkonsum innerhalb der Belegschaft. Dann dichten sie dem Betriebsratsvorsitzenden Morddrohungen gegen die Geschäftsführung an. Rechtsanwalt Naujoks wird diese frei erfundenen Morddrohungen später in der Begründung der Kündigung des Betriebsratsvorsitzenden verwenden. Der Mann soll unter anderem über die Geschäftsführung gesagt haben: "Alle in einen Sack stecken und drauf schießen". Diese Zitate seien frei erfunden, so der Detektiv heute. Seine Aussagen legen außerdem nahe, dass Naujoks Kenntnis darüber hatte, dass diese Zitate nicht der Wahrheit entsprechen. Der Rechtsanwalt bestreitet diese Vorgehensweise auf Anfrage.
"Solche Fälle müssen öffentlich geächtet werden"
Die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung hat versucht das aktuelle Ausmaß der Behinderung von Betriebsratsarbeit festzustellen. Mehr als 220 Fälle hat Wissenschaftler Martin Behrens für eine längst nicht flächendeckende Studie gezählt - und Auftraggeber war immer wieder ein bestimmter Unternehmertypus: "Wenn die Eigentümerin, der Eigentümer selbst auch den Laden führt, dann steigt die Wahrscheinlichkeit, dass sie nicht bereit sind, die Macht mit Betriebsräten zu teilen. Die Motivation, 'niemand sagt mir, wie ich meinen Betrieb zu führen habe', scheint dort sehr stark verankert zu sein."
DGB-Chef Reiner Hoffmann spricht von einer wachsenden Zahl von Unternehmen, die mit mehr oder minder rüden Methoden gegen Betriebsräte vorgehen: "Das setzt psychosoziale Folgewirkungen frei. Da muss sozialer Zusammenhalt dagegen gestellt werden, das deutlich wird, die stehen nicht allein da. Solche Fälle müssen öffentlich geächtet werden."
Ohne Wissen Peilsender montiert
Zu den Methoden, über die der ehemalige Detektiv berichtet, gehört auch die Verfolgung sogenannter "Zielpersonen" mit GPS-Peilsendern, die ohne Wissen der Opfer unter deren PKW montiert werden - eine Aktion, die eindeutig verboten ist. "Wir haben GPS-Systeme konstant eingesetzt", erzählt der Detektiv, "Es ist in fast allen Aufträgen notwendig, dass man seine Zielperson genauer kennenlernt. Und dazu muss man eben den Tagesablauf kennen von einer Zielperson, damit man eben auch die Angriffspunkte kennenlernt."
Naujoks selbst hatte dem NDR erst ein Interview zugesagt, diese Zusage dann aber wieder zurückgezogen. Eine von ihm beauftragte Hamburger Kanzlei erklärte, der Einsatz von Detektiven könne als das letzte Mittel geboten sein. In keinem Fall habe Naujoks wissentlich daran mitgewirkt, mit Hilfe von rechtswidrig provozierten oder vorsätzlich unwahren Sachverhalten Kündigungen durchzusetzen. Zudem könne er über konkrete Mandanten keine Auskünfte erteilen.