Stand: 24.06.2016 17:29 Uhr

Brexit: Der Bauch schläft

Ein Kommentar von Andrej Reisin & Volker Steinhoff

Puzzlestücke mit britischem und europäischem Flaggensymbol. © Fotolia.com Foto: Pixelbliss
Ein Puzzleteil weniger: Schon träumt der britische Rechtspopulist Nigel Farage davon, "den ersten Stein aus der Mauer einer sterbenden EU" herausgeschlagen zu haben.

Der Brexit-Wunsch kam aus dem Bauch. Aber ob man sich bei existentiellen Fragen auf den Bauch verlassen sollte, ist so eine Frage. Bisher wurde viel über einen möglichen Wirtschaftseinbruch geschrieben. Es kann sein, dass Großbritannien und Europa ökonomisch geschwächt werden, aber weder die Briten noch die Kontinentaleuropäer werden verelenden oder verhungern.

Die wahre Gefahr, über die derzeit kaum jemand spricht, ist eine andere: Viel schlimmer als der Brexit ist unserer Meinung nach der Verlust eines weitgehend geeinten Europas (bis auf Russland) als Lehre aus zwei von Nationalismus verursachten Weltkriegen. Denn der Nationalismus, den die verenigten Populisten Europas vertreten, hat in der europäischen Geschichte immer wieder zu Krieg geführt. Jahrhundertelang war Europa ein Schlachtfeld - mindestens bis 1945. Auch danach zeigten die Balkan-Kriege, welch blutiges Potenzial aggressiver Nationalismus in sich trägt.

Natürlich kann sich niemand vorstellen, dass ein Zerfall der EU zu neuem Krieg in Europa führen könnte, zu weit weg erscheint ein solches Horrorszenario. Doch konnten sich die feiernden Fußballfans, die 2012 zur Europameisterschaft in Polen und der Ukraine am neuen Flughafen von Donezk ankamen, vorstellen, dass dieser nur zwei Jahre später in zusammengeschossenen Trümmern liegen würde? Manchmal geht es eben leider schneller, als man denkt. In den Niederlanden, Dänemark, Frankreich, Italien und Deutschland werben Rechts- und Linkspopulisten bereits für Ausstiegs-Referenden.

Im Falle eines Italo- oder Franko-Exits aber wäre die EU hinfällig. Und damit die mühsam erkämpfte Nachriegsordnung in Europa. Schon erhebt Spanien Ansprüche auf Gibraltar, Schottland will ein neues Unabhängigkeitesreferendum, und ob die FPÖ Südtirol wirklich aufgegeben hat, bleibt fraglich. Banale Anlässe wie 1914 in Sarajevo gibt es immer, gerade in diesen Zeiten. Es kommt darauf an, keine Strukturen zu schaffen, in denen man sich dadurch schlafwandelnd in den Konflikt treiben läßt. Mit dem Brexit hat der Schlafwandel wieder bessere Chancen.

 

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