Band Aid 30: Das Richtige wollen, das Falsche tun?
Zum 30-jährigen Jubiläum der von Bob Geldorf ins Leben gerufenen Spendenkampagne "Band Aid" wurde der Erfolgssong "Do they know it’s Christmas?" neu eingespielt. Erstmals gibt es auch eine deutsche Version. Verantwortlich dafür zeichnet Geldorf-Freund und "Tote Hosen"-Frontman Campino. Das Thema der Kampagne: Ebola-Hilfe. Der Song belegt in England und Deutschland momentan den ersten Platz der Single-Charts.
Kritik kommt von verschiedenen Seiten
Doch Form und Inhalt sind in die Kritik geraten: ZDF-Moderator Jan Böhmermann ("Neo Magazin") hat sich das Video in einem sechsminütigen Beitrag vorgenommen, der auf YouTube große Verbreitung fand. Böhmermann nimmt darin viele unterschiedliche Aspekte aufs Korn, die er für widersprüchlich und scheinheilig hält.
Campino wies diese Kritik aufgebracht als "zynische Geisteshaltung" zurück. Doch es gibt auch andere Kritik, die dem Projekt insgesamt vorwirft, einen Blick auf Afrika zu werfen, der Vorurteile und negative Bilder bestätige und verfestige. Anstatt nachhaltig Hilfe zu leisten, würde nur das eigene Gewissen beruhigt. Panorama hatte vor einem Jahr zur Weihnachtszeit ebenfalls über vielleicht gut gemeinte, aber dennoch sinnlose und kontraproduktive "Kurztrips ins Elend" berichtet - bei denen deutsche Abiturienten für vier, sechs oder acht Wochen in Entwicklungsländer reisen und Helfer spielen.
Welche Form ist angemessen?
In der Redaktion entbrannte nach der Veröffentlichung des Böhmermann-Videos eine kontroverse Debatte zum Thema, die wir hier in Form eines virtuellen Streitgesprächs dokumentieren.
Andrej Reisin: "Für mich ist die ganze Aufmachung von 'Band Aid 30' total fragwürdig. In der Original-Fassung sehe ich im Video eine halbnackte Frau, die an Ebola erkrankt ist, das ist entwürdigend - und das hätte man sich bei einer weißen Europäerin auch nie getraut, weil man dann von der Familie des Opfers den Anwalt auf den Hals gehetzt bekäme. Mittlerweile hat man das offenbar gemerkt, weil die Kritik daran so überwältigend war - und hat die Sequenz entfernt. Das zeigt aber schon, was da für ein paternalistischer Blick auf Afrika dahinter steckt."
Dietmar Schiffermüller: "Ich würde gerne bei der deutschen Fassung bleiben. Das Bild der Frau hat mit Campinos Engagement nichts zu tun. Und ich sage es ganz grundsätzlich: Respekt für Campino. Ja, man kann den Song kritisieren. Ja, ein Major steht dahinter. Ja, man kann das Richtige wollen und es nicht ganz richtig machen. Aber Campino kämpft. Der sitzt nicht hinter seinem Schreibtisch und pulverisiert in seiner Fernsehshow das Engagement anderer. Sondern er geht an die schlimmste aller Fronten: die der Betroffenheit. Natürlich ist das auch peinlich. Aber er weiß das, und er nimmt es trotzdem in Kauf, weil er - Achtung, der Gutmenschenvorwurf lauert: helfen möchte."
Anna Orth: "Die Frage ist: Kann etwas falsch daran sein, Gutes zu tun? Vielleicht ist eine Diskussion um das Für und Wider einer 50-jährigen Tradition von Entwicklungshilfe nicht unbedingt hilfreich, in einem Moment, in dem viele tausend Menschen sterben. Trotzdem müssen wir in genau dieser Situation diskutieren, welche Form ein Aufruf zum Engagement haben kann und darf. Und diese Frage geht weit über Ästhetik hinaus. Die Häme über Campino, der nun Charity macht, geht an der Sache vorbei, die hat sich verselbständigt. Aber die Kritik an der Form, diese Kritik geht noch gar nicht weit genug."
Lutz Ackermann: "Aber ist jetzt das wirklich ein guter Zeitpunkt für eine Grundsatzdiskussion? Sollen wir etwa einfach sagen:'Sorry, Sierra Leone, Liberia und Guinea, wir haben uns ausgerechnet JETZT überlegt, dass wir nicht mehr paternalistisch und neo-kolonial sein wollen? Wir haben zwar jahrelang auf Euch herabgeblickt, aber damit ist jetzt Schluss: Das mit Ebola, das schafft Ihr auch alleine!'?"
Dietmar Schiffermüller: "Vor allem: Ebola grassiert doch auch, weil diese Länder durch kolonialistischen Einfluss strukturell am Boden sind. Und deshalb kann man als Meinungsheckenschütze nicht mitten in einer grassierenden Epidemie sagen: 'Sorry Leute, aber wir wollen jetzt mal nicht mehr kolonial sein.' Darüber muss man einen ernsthaften politischen Diskurs führen, aber doch nicht mit diesem oberflächlichen Getrampel über Oberflächenreize."
Andrej Reisin: "Aber hinter dem ganzen Projekt steckt doch vor allem der Gedanke, wir Europäer/Amerikaner könnten da halt besser helfen, weil 'die Afrikaner' können es halt einfach nicht alleine. Dabei fließen seit Jahrzehnten zehn Milliarden Euro Entwicklungshilfe jedes Jahr nach Afrika. Da muss doch auch mal gefragt werden: Wer bekommt das Geld? Was hat es genützt? Zumal es daran ja auch deutliche Kritik aus den betroffenen Ländern gibt. Das ganze Video, die ganze 'Idee' entspricht exakt der Persiflage auf solche Kampagnen:
Dietmar Schiffermüller: "Ja, das werfen manche der Aktion vor, dass so einen Gestus habe, nach dem Motto: 'Die Afrikaner können es eben nicht.'. So ein Statement ist für mich ironisches Schutzargument. Es ist einfach Fakt, dass die medizinische Infrastruktur, die zum Beispiel ein Robert-Koch-Institut zur Verfügung stellen könnte, schlicht besser ist als jedes Hospital in den betroffenen Ländern. Das ist ja gerade das Ergebnis einer falschen Politik. Und deshalb nochmal: Es ist der falsche Zeitpunkt für einen Rückzug und für ironische Distanzierung."
Andrej Reisin: "Aber das ignoriert doch auch, dass Nigeria zum Beispiel Ebola im Griff hat, dass es gerade mal drei Länder sind, in denen Ebola grassiert, von 54 wohlgemerkt. Der nigerianische Literaturnobelpreisträger Wole Soyinka sagt zum Beispiel: 'Leute wie Geldof und Bono scheinen zu glauben, dass wir uns nicht selbst helfen können, dass wir auf Menschen wie sie angewiesen seien. Das ist eine andere Form von Rassismus.' Ich finde es extrem schwierig, da einfach zu sagen, mich als weißen Europäer interessiert diese Kritik nicht, sondern ich 'helfe' halt bloß, egal was die sagen."
Lutz Ackermann: Ach so, gerade mal drei Länder. Na dann, wozu die Aufregung? Muss dieser Song jetzt schaffen, was wir Medien kaum schaffen: Die komplexe Realität abbilden und besingen, wie klasse Nigeria Ebola in den Griff bekommen hat? Im Übrigen interessiert die der Song gerade bestimmt wenig, sondern eher die finanziellen Mittel für medizinische Hilfe, die er einspielen soll. Über die verfehlte Entwicklungspolitik und rassistische Stereotype auch in vermeintlicher Hilfe zu diskutieren ist sicher absolut angezeigt, aber es ist eine Erwartung, die einen albernen Charity-Song überfrachtet.
Anna Orth: "Warum die Krankheit in Sierra Leona, Liberia und Guinea so wüten kann, hat sicher komplexere Ursachen, als es in einem Charity-Song besungen werden kann. Dennoch, gerade im Angesicht der Katastrophe kann nicht jede Form recht sein. Vielleicht appelliert ein solcher Song kurzfristig an die Spendenbereitschaft. Doch was passiert auf lange Sicht? Diese Kampagne steht in einem Zusammenhang mit vielen Kampagnen, in denen wir immer wieder vor Augen geführt bekommen, dass "die Afrikaner" es am Ende einfach nicht hinbekommen. Die beteiligten Künstler hätten ein Bewusstsein für unheilvolle Stereotype haben können und müssen. Die Hörer hingegen können sich - ihrem Weltverständnis versichert - für 1,29 Euro gewissensberuhigt in die Ecke legen."
Dietmar Schiffermüller: "Richtig und falsch: Es ist gute Panorama-Tradition, zu sezieren, wo jemand etwas Richtiges tun will und das Falsche bewirkt. Aber das Wegironisieren gewissensethischer Standpunkte ist ganz allgemein das neue Ding. Wenn aber nur Verantwortungslosigkeit und billige Polemik dabei herauskommen, ist das zu wenig. Für mich ist das Gutmenschen-Gebashe ohne Konsequenzen. Ebola ist konkret, und der Kampf dagegen sollte es auch sein. Egal, ob er smart daher kommt oder nicht."