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Montag, 17. August 2020, 22:00 bis
22:45 Uhr
In Deutschland stehen laut Eurotransplant aktuell 9.000 schwerkranke Menschen auf der Warteliste für ein Spenderorgan. Aber im vergangenen Jahr gab es nach Angaben der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) nur 932 postmortale Organspenderinnen und -spender. 2017 waren es sogar nur 797. Was steckt hinter dem Organmangel hierzulande?
Transplantationen: Mit der Kamera dabei
Autorin Antje Büll konnte für diese Dokumentation Chirurginnen, Chirurgen und Transplantationsbeauftragte mit einem Kamerateam begleiten, um die emotionale und herausfordernde Arbeit rund um Organentnahme und Transplantation zu dokumentieren. Die Ärzte, etwa von der Medizinischen Hochschule Hannover, erklären dabei offen und eindrücklich, was Transplantationsmedizin für sie bedeutet.
Beispielsweise beschreibt Transplantationschirurg Gregor Warnecke, was er kurz vor einer Lungentransplantation empfindet: "Das ist eine besondere Stimmung. Das verliert auch seinen Reiz nicht nach der 100. Transplantation. Wenn man zwei Transplantationen an einem Tag macht, zaubert das immer so ein Lächeln auf die Lippen von vielen."
Der ungewöhnliche Blick hinter die Kulissen zeigt, wie die Behandlung potenzieller Organspender und die Hirntoddiagnostik ablaufen und wie Organentnahmen vorbereitet und durchgeführt werden. Klar wird aber auch, dass Ärzte vielen Menschen nicht helfen können, weil es kein lebensrettendes Organ für sie gibt.
Organspende: Der Ablauf von Anfang bis Ende
Der Film erzählt zudem die Geschichte von Hannelore R., die seit anderthalb Jahren wegen einer schweren Lungenfibrose Tag und Nacht auf zusätzliche Sauerstoffzufuhr angewiesen ist. Ihr größter Wunsch ist, mit ihren Enkeltöchtern spielen zu können. Und tatsächlich findet sich eine neue Lunge für die Patientin. Das NDR Team hat einen Entnahmearzt mit der Kamera begleitet - und war sowohl bei der Entnahme als auch der Transplantation des Organs dabei. Wie geht es Hannelore R. nach der Operation?
Motivation für Ärzte: "Das Geschenk Organspende weitergeben"
Spenderorgane - wie das für Hannelore R. - müssen alle Kliniken in Deutschland an die Vermittlungsstelle Eurotransplant melden, dazu sind sie gesetzlich verpflichtet. Die meisten Organe werden hierzulande von kleineren Krankenhäusern gemeldet und dann nach Bedürftigkeit in ganz Deutschland und Europa verteilt.
Doch so eine Organspende stellt eine große Herausforderung dar - gerade für kleinere Krankenhäuser. Mindestens zehn Stunden zusätzliche Arbeit fallen dann an: Nach der aufwendigen Hirntodfeststellung und dem Angehörigengespräch muss die Qualität aller Organe bis ins Detail geprüft werden. "Das wird von erheblicher Eigenmotivation getragen. Die Leute machen Überstunden dafür", erzählt Intensivmedizinerin Maja Iversen. "Die Leute engagieren sich, weil sie wissen: Am Ende kommt dabei etwas Gutes heraus und sind dann auch bereit, das Geschenk Organspende weiterzugeben", so die Oberärztin am Bundeswerkrankenhaus Hamburg.
Deutschland: Schlusslicht bei Organspenden in Europa
Seit April 2019 muss jede Klinik in Deutschland nicht nur potentielle Organspender melden, sondern laut Gesetz auch einen Transplantationsbeauftragten freistellen. Diese Ärzte kümmern sich um mögliche Organspender und koordinieren Transplantationen. In den meisten Fällen sind es Anästhesistinnen und Anästhesisten.
Dennoch gehört Deutschland in Europa zu den Schlusslichtern, was die Zahl der Organspender pro Kopf betrifft. Dabei steht ein Großteil der Bevölkerung laut Umfragen der Organtransplantation grundsätzlich positiv gegenüber, wie die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung in einer repräsentativen Umfrage 2018 herausgefunden hat. Aber nicht alle der Befragten besitzen auch einen Organspendeausweis.
Erweiterte Entscheidungsregelung statt Widerspruchslösung
Seit Jahren ist Deutschland außerdem das einzige Land, das über die Stiftung Eurotransplant mehr Organspenden aus dem Ausland bekommt als es anbietet. Das liegt unter anderem an einer unterschiedlichen Gesetzgebung. Deutschland gehört zu den wenigen Ländern in Europa, in dem die Bürgerinnen und Bürger durch einen Organspendeausweis explizit einer Organentnahme zustimmen müssen - die sogenannte Zustimmungslösung. Ein neues Gesetz zur Regelung der Organspende hatte das ändern können.
Nach der sogenannten doppelten Widerspruchslösung wäre jeder automatisch Spender, der sich nicht ausdrücklich gegen eine Organspende ausspricht. Einen entsprechenden Gesetzesentwurf von Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hat der Bundestag im Januar 2020 aber abgelehnt. Stattdessen wurde eine andere Regelung beschlossen: die "Erweiterte Entscheidungsregelung". Alle Bürger werden demnach künftig regelmäßig gefragt, ob sie Spender sein wollen - beispielsweise bei der Ausstellung von Personalausweisen oder Führerscheinen.
Hinweis: Uns ist bewusst, dass die Hirntod-Diagnostik im Film starke Reaktionen auslösen kann. Dennoch halten wir diese Bilder für entscheidend. Es ist die Absicht der Redaktion, einer breiten Öffentlichkeit den konkreten Ablauf einer Organspende zu zeigen, von Anfang bis Ende. Dabei wird auch deutlich, wie respektvoll mit dem Patienten umgegangen wird. Die Kameraführung hält dabei die Waage zwischen der Dokumentation des Geschehens und dem Erhalt der Würde des Patienten.
- Autor/in
- Antje Büll
- Regie
- Antje Büll
- Kamera
- Björn Atzler
- Juschka Weiß
- Schnitt
- Andreas Sievert
- Grafik
- Juliane Techen
- Sprecher/in
- Christine Hegeler
- Produktionsleiter/in
- Michael Schinschke
- Redaktion
- Sabine Reifenberg
- Redaktionsleiter/in
- Kathrin Becker