Was darf Satire?

Drittes Reich und Holocaust in der Satire

Comedian Oliver Pocher agiert in der ARD-Sendung "Schmidt & Pocher" am 22.01.2009 in Stauffenberg-Uniform. © (c) dpa - Report Foto: Klaus Görgen
Oliver Pocher: Klamauk in Nazi-Uniform.

Hier stoßen wir auf die eingangs gestellte Frage, wann Satire scherzhaft mit dem Dritten Reich umgehen darf. Gelungene Nazi-Satiren wie "Obersalzberg" bei "Switch reloaded" (ProSieben), "Adolf, die Nazi-Sau" (Comic von Walter Moers) und natürlich "Der große Diktator" von Charlie Chaplin zeigen, dass es geht, wenn der Feind stimmt: Es geht darum, Hitler lächerlich zu machen und zu entmystifizieren - ohne aber respektlos mit dem Leid der Opfer umzugehen. Ohne die Singularität des Holocaust relativieren zu wollen, postuliere ich einmal, dass das Dritte Reich und die Verbrechen der Nazis als prototypisch für Schreckliches, Abstoßendes, Ablehnenswertes zu sehen sind, sodass die übergeordnete Frage lauten könnte: Darf Satire Abstoßendes zeigen?  In Form der ernsthaften, "strafenden" oder "pathetischen" Satire, wie sie Schiller definiert, sehe ich hier weit weniger Probleme als im Falle der scherzhaften Satire, die in Verbindung mit dem dargestellten Abstoßenden oft als unangemessen erscheint.

1919 verteidigt Tucholsky das Recht der Satire auf drastische Darstellungen so: "Vor allem macht der Deutsche einen Fehler: Er verwechselt das Dargestellte mit dem Darstellenden. Wenn ich die Folgen der Trunksucht aufzeigen will, also dieses Laster bekämpfe, so kann ich das nicht mit frommen Bibelsprüchen, sondern ich werde es am wirksamsten durch die packende Darstellung eines Mannes tun, der hoffnungslos betrunken ist." Dieses Prinzip erlaubt der Satire ein gehöriges Maß an Drastik, ist aber kein Freibrief. Bei Darstellungen von Gewalt und Tod in Wort und Bild darf der gezeigte Schrecken nicht die satirische Aussage überlagern. "Das Pferd 'Zuschauer' springt nicht über das Hindernis 'totes Kind'", sagt man bei extra 3.

Den satirischen Feind im Fokus behalten

Bei bestimmten schrecklichen Bildern in scherzhaft-satirischem Kontext herrscht beim Zuschauer nur noch Entsetzen über die Gefühllosigkeit des Satirikers, während der satirische Feind aus dem Fokus gerät. Besonders gilt dies in Fällen, wo der dargestellte Schrecken nicht direkt auf den satirischen Feind zurückzuführen ist. Ein Nicht-Nazi-Beispiel aus meinem Alltag bei extra 3: In einem Beitrag der Rubrik "Die Sendung mit dem Klaus" wurde die Redensart "Ich glaub, es hackt!" mit der Darstellung eines Robbenbabys bebildert, das mit der Spitzhacke erschlagen wird. Die darauffolgende Redaktionskonferenz kam zu dem Ergebnis, dass eine derartig grausame Darstellung nur dann statthaft sei, wenn sie in einem Beitrag zum Thema Robbenjagd gezeigt würde und der satirische Feind die Robbenjäger selbst seien. "Nur zum Spaß" ein solches Bild zu zeigen, zeugt zwar von Kaltblütigkeit und Mut zum Tabubruch, es werden aber Verharmlosung, Abstumpfung und Hemmschwellensenkung für einen Lacher in Kauf genommen.

Ähnliches gilt für islamistischen Terror. Man kann Terroristen satirisch bloßstellen, muss aber vorsichtig mit sinnfreien Terrorgags oder -vergleichen in anderen Kontexten sein, damit das Mittel den Zweck nicht in den Schatten stellt.

Collage: Hitler bei einer Rede, im Hintergrund der Schriftzug NNN
Hitler in NNN: Nur im Kampf gegen Nazis lohnt der Tabubruch.

Gleiches gilt natürlich insbesondere für das "Auspacken der Nazikeule". Meine Extra-3-Kollegen benutzen zum Beispiel Hitler in der Rubrik "Neueste Nationale Nachrichten" in der Regel nur, um die Unzulänglichkeiten der NPD herauszustellen. Verallgemeinert ausgedrückt: Das Dritte Reich, seine Protagonisten und seine Symbole sollten möglichst nur dann in scherzhaftem Kontext verwendet werden, wenn der satirische Feind Altnazis, Neonazis oder Leugner und Relativierer von Naziverbrechen sind. Nur dann "lohnt" sich der Tabubruch, nur dann heiligt der Zweck die Mittel. In fast allen anderen Fällen sind Nazianspielungen oder Nazivergleiche unangemessen und bewirken nur, dass der Satiriker als geschmacklos angesehen oder das Dritte Reich verharmlost wird. 

Apropos Geschmacklosigkeit: Ich denke, dass die eben genannten Überlegungen auch teilweise auf andere Tabubrüche zutreffen. So haben beispielsweise die Inzest- und Sodomiebezichtigungen, die Michael Kessler als Florian Silbereisen bei "Quatsch goes Christmas" (ProSieben, 2008) über die Volksmusik-Szene zum Besten gab, eher ihn selbst als die Volksmusikszene diskreditiert, da der satirische Zweck des Tabubruchs über den bloßen Effekt hinaus nicht erkennbar war. Einige Zitate: "Mit der Verwandtschaft macht's (= das Schnackseln) am meisten Spaß." - "Ich knall meinen Ziegenbock und mach's ihm mit dem Mund." - "Stefan Mross macht's mit ner Kuh".

Harte, treffende Kritik

Satire muss wehtun (s.o.), aber nicht durch sinnfreie Beleidigungen, sondern durch harte, treffende Kritik. Abgesehen von Ausrutschern wie diesen produzieren Kessler und seine Kollegen von "Switch" übrigens ganz wunderbare, zu Recht preisgekrönte Satire. Doch kommen wir zurück zum Holocaust, dessen Singularität Tabubrüche wie die eben genannten vergleichsweise harmlos erscheinen lässt.

Schmidt & Pocher © ARD Foto: Marco Grob
"Schmidt & Pocher": Entgleisung "Nazometer".

Auch das 2007 bei "Schmidt & Pocher" getestete "Nazometer" war aus meiner Sicht eine Entgleisung. Die beiden testeten Wörter wie "Gasherd" und "Dusche", die natürlich eindeutige Assoziationen bezwecken sollten. SWR-Intendant Peter Boudgoust urteilte: "Ein solches lustvolles Überschreiten von Grenzen darf es im öffentlich-rechtlichen Fernsehen nicht geben". Henryk M. Broder schrieb dazu, Schmidt und Pocher hätten "nicht den Massenmord vergagt oder die NS-Opfer verhöhnt, sie haben sich über den ritualisierten, verlogenen und wohlfeilen Umgang mit dem lustig gemacht, was vom Dritten Reich übrig geblieben ist: das inszenierte Entsetzen. [...] 60 Jahre nach dem Ende des NS-Projekts sollte es allmählich möglich sein, sich über das braune Pack lustig zu machen, statt immer wieder 'den Anfängen' zu wehren".

Betrachten wir das Ganze unter der oben gegebenen Definition von Satire. Erste Frage: "Wer ist der Feind?" Antwort: überempfindliche Zeitgenossen, die mit reflexartigem, inszeniertem Entsetzen auf Eva Hermans Äußerungen reagieren, es sei nicht alles schlecht gewesen. Es wird sich also eben nicht "über das braune Pack lustig gemacht", sondern über deren erklärte Gegner, und für so einen Feind ist mir das Herumscherzen mit "Gas" und "Dusche " dann doch eine Spur zu heftig.

Satire und Comedy

Noch einmal zurück zum Stauffenberg-Kinderfasching: Wenn Satire Nazisymbole verwendet, dann muss der Kontext ihrer Verwendung (und der satirische Feind in diesem Kontext) definiert und klar umgrenzt sein. Das Übernehmen von Nazi-Elementen in andere scherzhafte Zusammenhänge (zum Beispiel Interview in Naziuniform zum neuen Will-Smith-Film) bewirkt eine unreflektierte Verharmlosung dieser Elemente, die darin münden könnte, dass auch Deutsche eines Tages wie Prinz Harry in Naziuniform zur Faschingsparty gehen. Hier liegt vielleicht eine allgemeine Gefahr bei der Vermischung von Satire und Comedy. Satire darf das Schreckliche zeigen - um es zu bekämpfen. Comedy darf das nicht. Wenn nun eine Comedy-Satire-Sendung das Schreckliche zu satirischen Zwecken hervorholt und dann, weil es schon mal da ist, in reinem Comedy-Kontext weiterverwendet, wirkt das normalisierend, abstumpfend, Hemmschwellen senkend. Die Welt wird dadurch nicht besser, sondern schlechter - das Gegenteil dessen, was Satire will.

Mathias Richling © rbb/BR/Ralf Wilschewski Foto: rbb/BR/Ralf Wilschewski
Mathias Richling: Satire versus Comedy.

Generell ist gegen die Vermischung von Comedy und Satire nichts einzuwenden. Innerhalb von Satire können ja Comedy-Elemente einen satirischen Feind sehr wirkungsvoll der Lächerlichkeit preisgeben. Innerhalb einer Sendung wie "SatireGipfel" (Nachfolger von "Scheiben-Wischer", um mal in der neuen Schreibweise zu bleiben) kann Comedy der Satire helfen, einen größeren Zuschauerkreis anzusprechen. Wichtig ist nur, dass die satirische Kritik durch den Wunsch, unterhalten zu wollen, nicht in ihren entscheidenden Aussagen verwässert wird. Solange der satirische Feind immer wieder hart getroffen wird, darf zwischendurch auch mal einfach so gelacht werden.

Noch der Vollständigkeit halber: Na klar darf die "taz" Jürgen Klinsmann als gekreuzigten Jesus darstellen. Das Landgericht München entschied: "Die Art der Darstellung ist dem Bereich der Satire zuzuordnen. Eine reale Kreuzigung des Antragstellers steht nicht im Raum. Vielmehr wird der berufliche Niedergang des Antragstellers symbolisch dargestellt. Vor dem Hintergrund, dass die religiöse Darstellung vorliegend für jedermann erkennbar nur als Symbol zur Vermittlung einer Aussage verwendet wird, welche überhaupt keinen Bezug zur Religionsausübung des Antragstellers hat [...] wiegt die Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts des Antragstellers durch die Art des gewählten Symbols vorliegend nicht so schwer, als dass hierdurch die Meinungsäußerungsfreiheit der Antragsgegnerin eingeschränkt werden könnte."

Erschienen im ARD-Jahrbuch 2009

 

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