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Betreuungskräfte aus Osteuropa: Immer da und ausgenutzt?

Montag, 09. Januar 2023, 22:00 bis 22:45 Uhr

Viele Menschen wollen nicht in einem Pflegeheim leben, selbst wenn sie stark pflegebedürftig sind. Aber wie können sie versorgt werden, wenn ihre Angehörigen die Betreuung und Pflege nicht leisten können? Viele Pflegebedürftige und ihre Familien suchen dann nach Hilfen, die im Haus leben: 24-Stunden-Betreuungskräfte, auch "Live-ins" genannt. Wer sind die Menschen, die so eine herausfordernde Rundum-Betreuung zu Hause übernehmen? Und was für Arbeitsbedingungen haben sie?

Wenig Lohn und Pausen für viele Betreuerinnen

Schätzungen zufolge arbeiten in Deutschland 300.000 bis 600.000 Menschen als 24-Stunden-Betreuerinnen. Die meisten von ihnen sind Frauen. Viele stammen aus Osteuropa, aus Polen oder Rumänien etwa, und kommen über Vermittlungsagenturen hierher. Sie machen einen Job, bei dem die Bedingungen so schlecht sind, dass ihn Menschen aus Deutschland oft nicht wollen: Sie arbeiten teilweise ohne Pausen und ohne freie Tage zu geringen Lohn.

Arbeitsbedingungen werden kaum kontrolliert

Kontrollen gibt es in dem Bereich kaum, etwa bei den Arbeitszeiten. Eine 24-Stunden-Betreuerin erzählt von ihrem Vertrag: "Bei mir steht sechs Stunden am Tag, fünf Tage die Woche. Und ich arbeite 20, 21 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche, die Nächte dazu. Ich kann nicht mehr, ich bin kaputt."

Und die Bedingungen für Betreuerinnen werden eher schlechter statt besser: Es herrscht Preisdruck und die Nachfrage wächst. Deshalb suchen Vermittlungsagenturen mittlerweile in Ländern außerhalb der EU nach Personal.

In immer mehr Haushalten in Deutschland arbeiten nun auch Betreuerinnen aus der Ukraine. Sie sprechen oft kaum Deutsch, bekommen noch weniger Geld als ihre Kolleginnen aus Polen und erfahren häufig nicht einmal, ob sie legal in Deutschland arbeiten.

Angehörige von Pflegebedürftigen fordern Marktregulierung

Welche Regelungen Familien beachten müssen und welche Verantwortung sie tragen, wenn sie eine 24-Stunden-Betreuerin engagieren, bleibt für sie oft unklar. Viele Angehörige fordern daher, dass die Politik müsse den Markt mehr regulieren müsse. Aber die ist in diesem Bereich bislang untätig geblieben.

Bundesarbeitsgericht: Mindestlohn für 24-Stunden-Betreuerinnen

Zumindest gab es im Juni 2021 ein wegweisendes Urteil der Justiz: Nachdem eine 24-Stunden-Betreuerin geklagt hatte, hat das Bundesarbeitsgericht geurteilt, dass ausländische Betreuungskräfte Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn haben und auch für Bereitschaftszeiten bezahlt werden müssen.

An der Lage vieler Live-ins hat das allerdings bisher nichts geändert. Nur im Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung findet sich eine vage Formulierung: "Eine rechtssichere Grundlage für die 24-Stunden-Betreuung soll geschaffen werden."

Die Autor*innen Alexandra Bidian und Lennart Banholzer berichten über schlechte Arbeitsbedingungen für die Betreuungskräfte und einen immer größer werdenden Bedarf deutscher Familien - ein Dilemma für alle Seiten.

Beschäftigung von 24-Stunden-Betreuungskräften - wichtige Fragen und Antworten:

Weitere Informationen
Pflegekraft Agata Nowak sitzt auf einem Sofa. © NDR

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Pflegerinnen und Pfleger in der 24-Stunden-Betreuung werden oftmals ausgebeutet. Pausen und Ruhezeiten werden nicht überprüft. mehr

Redaktionsleiter/in
Kathrin Becker
Redaktion
Kathrin Becker
Autor/in
Alexandra Bidian
Lennart Banholzer
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Das Logo von #NDRfragt auf blauem Hintergrund. © NDR

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