Stand: 07.01.2013 10:00 Uhr

Die "Sesamstraße": Ein Pionier des Kinderfernsehens

Der NDR sendete im Dritten Fernsehprogramm, der "Nordkette", in der Osterwoche vom 5. bis 9. April 1971 fünf Folgen der "Sesame Street", in der amerikanischen Originalfassung, nicht synchronisiert, jedoch kommentiert. Am Ende jeder Folge dieser Testserie baten die Kommentatorinnen Ursula Klamroth und Ann Ladiges darum, dem Sender Meinungen und Ansichten mitzuteilen und abschließend zur Frage nach einer Übernahme eines größeren Filmpakets aus den USA Stellung zu nehmen.

Die Bewohner der US-amerikanischen Sesamstraße © NDR/CTW
Die Bewohner der US-amerikanischen "Sesame Street".

Die amerikanischen Folgen lösten in Deutschland eine "sehr grundsätzliche Debatte" aus, erinnert sich Grossmann. Auch der wissenschaftliche Beirat, der die Programmverantwortlichen beriet, diskutierte die Probefolgen intensiv. Bald war klar, dass man das amerikanische Format grundsätzlich übernehmen wollte. Aber auch, dass man es technisch bearbeiten musste, etwa von einer Stunde auf eine halbe Stunde reduzieren. Bestimmte Elemente, die zu sehr auf die amerikanische Situation zugeschnitten waren, sollten weggelassen und stattdessen durch in Deutschland neu produzierte Teile ergänzt werden.

Nicht alle machen mit

Von nun an ging alles sehr schnell. Die ARD-Arbeitsgruppe hatte sich für den Ankauf und die Ausstrahlung entschieden – mit Ausnahme des Bayerischen Rundfunks. Daraufhin wurde ein Ankauf für das ARD-Gemeinschaftsprogramm abgelehnt. Eine Tatsache, die der "Spiegel" in seiner Ausgabe am 3. Mai 1971 als "vergebene Chance" brandmarkte. Der NDR übernahm jedoch noch einmal die Initiative. Sein Verwaltungsrat stimmte dem Erwerb der Fernsehrechte durch die norddeutsche Rundfunkanstalt zu. Vor allem auch, weil inzwischen das Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft zugesichert hatte, den Ankauf entscheidend mitzufinanzieren.

Grossmann verhandelte erfolgreich in New York. Er schaffte es, das Vertrauen der CTW-Verantwortlichen zu gewinnen und sie für die Weiterentwicklung des pädagogisch wertvollen Formats durch die Deutschen einzunehmen. Das ZDF zog bei diesem Wettlauf den Kürzeren. Im Dezember 1971 war das Vertragspaket zwischen CTW und dem NDR unter Dach und Fach. Für stolze 700.000 Dollar, damals zirka 2,4 Millionen DM, konnten die Rechte für ein großes Filmpaket für die dritten Fernsehprogramme der ARD erworben werden. Der NDR wurde die für die neu zu entwickelnde deutsche Fassung zuständige Landesrundfunkanstalt.

"... wer nicht fragt, bleibt dumm"

Die "Sesamstraße" wurde sorgfältig beworben und intensiv diskutiert. "Neue Serie" titelten am 8. Januar 1973 die Programmzeitschriften, und die "Hör zu" verkündete: "Lernen macht Spaß – heißt das Motto dieser heiteren Vorschule". Doch nur über die Sender von NDR, Radio Bremen, SFB , WDR und HR konnte damals die Vorschulsendung um 9.30 Uhr im ersten Fernsehprogramm empfangen werden. Die dritten Programme dieser Landesrundfunkanstalten sendeten die "Sesamstraße" darüber hinaus um 18.00 Uhr in ihren jeweiligen dritten Programmen.

Die Kinder, die im Süden der Bundesrepublik, im Sendegebiet des Bayerischen, Süddeutschen und Saarländischen Rundfunks wohnten, blieben vorerst außen vor. Sie wuchsen mit dem "feuerroten Spielmobil" auf, einer avancierten Antwort des BR auf den US-amerikanischen Import.

Die Kinder im Norden aber wurden täglich ermutigt, neugierig zu sein und zu fragen. Ganz so wie es im "Sesamstraße"-Lied von Volker Ludwig (Text) und Ingfried Hoffmann (Musik) heißt: "Der, die, das / Wer, wie, was / wieso weshalb warum / wer nicht fragt bleibt dumm!". Und der Hamburger Kinderchor Vineta unter Leitung von Dietrich Czirniok sang damals auch: "Tausend tolle Sachen, / die gibt es überall zu sehen / manchmal muss man fragen, / um sie zu verstehen!"

Auch wenn sich das Konzept der "Sesamstraße" ständig weiter entwickelte und viele Veränderungen erfuhr, gehören das charakteristische Intro und die munteren "Sesamstraße"-Puppen zur Medienbiografie vieler Zuschauerinnen und Zuschauer im Norden.

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