Langes Ringen um das neue Staatsvertragsland
Und als sich dann im Sommer 1991 eine NDR Lösung durchzusetzen begann, gab es für mich eine weitere "Sonderaufgabe": eine erste systematische Bestandsaufnahme an den Hörfunk- und Fernsehstandorten.
Gemeinsam mit kundigen Kolleginnen und Kollegen aus Programm, Produktion und Betriebsplanung haben wir uns in unzähligen Gesprächen in Schwerin, Rostock, Greifswald und Neubrandenburg über die Menschen und Einrichtungen informiert, die zum Hörfunk und Fernsehen in Mecklenburg-Vorpommern gehörten: die Personalausstattung an den einzelnen Standorten, vorhandene Technik, Grundstücke, Leitungen, den Umgang der Kolleginnen und Kollegen nach der Wende mit alten Vorgesetzten, den Umgang mit den Stasi-Fragebogen und den Personalentscheidungen der Stasiunterlagen-Behörde in Berlin.
Und natürlich: Wer kann was, wem kann welche Aufgabe zugetraut und anvertraut werden? All das wollten wir wissen und haben in unzähligen Gesprächen mit den offiziellen Vertretern der drei Studios, des Fernsehens und des Personalrats Details zusammengetragen.
Die "Einstellungen"
Der NDR war also ziemlich gut vorbereitet, als wir mit Vertretern des Landesfunkhauses aus Kiel und der Personalabteilung zwischen dem 21. Oktober und dem 1. November 1991 die Personalgespräche für die künftigen Redaktionen in Schwerin, Rostock, Neubrandenburg und Greifswald führten. Auch für Gespräche wie das mit der jungen Kollegin, die nichts werden wollte als Sportreporterin, am liebsten nur für Hansa Rostock, und die sich dann doch zu einem Volontariat überreden ließ. Oder mit dem Kollegen, der uns offenbarte, er wolle eigentlich gar kein Redakteur werden, sondern lieber Clown. Er hat sich dann aber doch eines Besseren besonnen.
Einige haben sich nach den Vorstellungsgesprächen und der Erörterung ihrer früheren Rolle verabschiedet, andere sind freiwillig ein paar Schritte zurückgetreten, einige wenige mussten zu solchen Schritten gezwungen werden.
"Reise in ein fernes Land"
Sie waren tatsächlich so, wie der Titel eines ZEIT-Buches verhieß, die zahlreichen ein- oder mehrtägigen Besuche des Jahres 1991. Kreuz und quer durch den Osten zu allen Jahreszeiten. Bestandsaufnahme in den Studios, Personalgespräche, Diskussionen mit den Radio- und Fernsehmachern über ihre Arbeit und die des NDR. Was wird neu? Was kann bleiben? Wer kann bleiben?
Spannende Monate waren das, spannende Menschen und hautnah erlebte fremde, eigene und gemeinsame Geschichte und Geschichten. Rechtzeitig tanken musste man damals und die Reservekanister nachfüllen, und Hotels waren dünn gesät und karg ausgestattet. Wir haben häufig in Privatwohnungen wildfremder Menschen übernachtet, auch mal in einer Polizeistation oder einem Wohnheim der gewesenen Gesellschaft für Sport und Technik. Auch hier - wie immer und überall in diesem Jahr - am Abend bei Bier und Braunem - neugierige, auch ängstliche Gespräche, wie es wohl weiter gehen werde jetzt, wo der Westen in den Osten komme.
Mit allen Sinnen genießen
Wenn ich bis heute immer wieder auf Mecklenburg-Vorpommern gespannt bin, dann auch, weil zum Bild des Landes das Umfeld vieler spannender Konzerte gehört, die "mein" NDR veranstaltet, übertragen oder präsentiert hat. Am Rande dieser Konzerte natürlich hunderte von Gesprächen mit neugierigen, freundlichen, inzwischen nicht mehr fremden Menschen, denen wir an solchen Tagen den NDR ein wenig näher bringen konnten.
Es begann damals mit dem Jahresempfang und dem ersten offiziellen Einsatz des Sinfonieorchesters im Schweriner Theater. Ein Konzert und ein natürlich hochpolitischer Empfang des Intendanten, nur wenige Tage nach dem Sendebeginn von Hörfunk und Fernsehen im Januar 1992. Und es ging jedes Jahr weiter: mit dem Musiksommer in Dömitz und der NDR Radiophilharmonie, mit dem Klassik-Festival in Prebberede, den herbstlichen Musikfestivals auf Usedom oder dem "War Requiem" mit NDR Sinfonieorchester, Radiophilharmonie und Chor im geschichtsträchtigen und belasteten Peenemünde.
Bilanzen
Und dann haben wir im September 2001 nach zehn Jahren "Dankeschön" gesagt, mit einer bunten Präsentation aller Programme in allen größeren Städten des Landes. Schon die Atmosphäre der Vorbereitungsgespräche in den Rathäusern hat uns immer wieder gezeigt, wie beliebt insbesondere NDR 1 Radio MV und das "Nordmagazin" sind und wie verankert der NDR im Land Ist. Offene Arme und Vorfreude auf den NDR, große Hilfsbereitschaft in allen Behörden. Da wurden kurzerhand Straßen gesperrt, Wochenmärkte verlegt und Bauarbeiten vorzeitig beendet. Weit über hunderttausend Besucher haben uns in unserem NDR Dorf besucht, Zeitungsberichte und hunderte von Beiträgen über Mecklenburg-Vorpommern in allen NDR Radio- und Fernsehprogrammen erreichten Millionen von Menschen.
Dass es den NDR in diesem Land überhaupt gibt, daran war ich beteiligt. Da gibt es eine dicke Spur, die meine ist, ein Stück Lebensleistung, untilgbar. Und über das Prädikat, "der gute Geist des Funkhauses" gewesen zu sein, habe ich mich damals gefreut und freue mich heute noch. Inzwischen habe ich "mein" neues Staatsvertragsland noch viel besser kennengelernt. Auf Radtouren und mit dem Wohnmobil, immer mal wieder zu Besuch in Wismar, Rostock, Greifswald und Stralsund. Zum Festival auf Usedom, zur IGA und BUGA, zum kleinen Fest im Großen Park und natürlich in den Orten der Großeltern.
- Teil 1: Alte Bekannte
- Teil 2: Die Bestandsaufnahme