Kultur im Radio - von "Spielzeiten" und "Herausgebern"
In den 60er-Jahren experimentierten NDR und SFB mit einer ganz besonderen Form des Kulturradios. Prominente Persönlichkeiten des kulturellen Lebens konzipierten zwischen 1962 und 1968 ein Programm, das Wort- und Musikbeiträge auf höchstem Niveau bieten sollte.
Ernst Schnabel, Rolf Liebermann, Samuel Bächli, Hans Werner Henze und Walter Höllerer prägten als freiberufliche „Herausgeber“ das Dritte. In „Spielzeiten“ gegliedert, bot es Wort- und Musikbeiträge auf höchstem Niveau. Mit diesem Experiment reagierte man auf die kulturellen und politischen Entwicklungen des Jahrzehnts. Angesichts der Konkurrenz durch das Fernsehen sollte gezielt ein „anspruchsvolles und kritisch interessiertes, kurz: ein neugieriges Publikum“ angesprochen werden, wie die Herausgeber in ihrer Begrüßung am am 1. Oktober 1962 formulierten.
Gelegentlich finden sich noch einzelne Exemplare der Programmbroschüren in Antiquariaten: Eine große "3", unterschiedlich farbig gestaltet, ziert ihr Cover, das an die Hülle einer Single-Schallplatte angelehnt war. Vierteljährlich informierten diese liebevoll gestalteten Programmvorschauen die Hörerinnen und Hörer über ein Kulturangebot von außergewöhnlicher Qualität. Blättert man in den Heften, wird schnell klar: Viele Namen, die im bundesrepublikanischen Kunstbetrieb, in den Universitäten und Akademien der bewegten 60er-Jahre von sich reden machten, erhielten Rede- und Aufführungszeit im „Dritten Programm“.
„Das Dritte Programm will niemanden unterhalten“
Mit diesem Versprechen auf ein "Who‘s Who" der Kultur startete das Programm am 1. Oktober 1962. Ebenso einladend wie auffordernd verkündete die Broschüre für „die ersten zwölf Wochen“: „Das Dritte Programm ist nicht für Hörer, sondern für Zuhörer gedacht; es wünscht sich ein anspruchsvolles und kritisch-interessiertes Publikum. Das Dritte Programm will niemanden unterhalten, aber es wird bemüht sein, seinem Publikum Gelegenheit zu geben, sich selbst zu unterhalten“.
Tradition der Nachtprogramme
Die Gründe, ein solches anspruchsvolles Experiment zu wagen, waren vielfältig. Zunächst einmal war es die konsequente Fortführung der Tradition, Radio als ein Kulturinstrument zu begreifen. Schon kurze Zeit nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges hatten speziell die „Nachtprogramme“ die Funktion übernommen, eine „Weltbetrachtung – 10 Uhr abends“ zu bieten, wie es Jürgen Schüddekopf, „Nachtprogramm“-Redakteur beim Nordwestdeutschen Rundfunk, formulierte. Die intellektuellen Debatten, die in der noch jungen Bundesrepublik geführt wurden, die Streitgespräche über die Gründung und den Aufbau eines neuen demokratischen Gemeinwesens wurden auch und gerade im Radioprogramm verhandelt. Ein weiter Begriff von Kultur herrschte vor, alle gesellschaftlichen Themen wurden in den Nachkriegsjahren unter kulturellen Vorzeichen diskutiert.
Vorbild BBC
Daher ist es verständlich, dass die Senderverantwortlichen und die Kulturredakteure interessiert auf die Einführung eines dritten Programms bei der BBC schauten. Die britische Rundfunkanstalt bot seit längerem neben ihrem Hauptprogramm ein ausgesprochen unterhaltendes "light programme" an sowie eben jenes „third programme“, ein drittes, gezielt intellektuelles Programm mit klassischer Musik, Literatur, Essays und Diskussionen. Der NWDR hatte im Winter 1954/55 eine erste Versuchsreihe mit einem „Dritten Programm“ gestartet, seit 1956/57 gehörte es fest zum Programmangebot des Senders im Norden.
Das „Herausgeberradio“
NDR Intendant Walter Hilpert und Hörfunk-Programmdirektor Hans Arnold förderten die Angebote eines Dritten Programms nachdrücklich. Eine neue Idee, die zu Beginn des Jahrzehnts aufkam, war überaus verlockend: Neben den Redakteuren, die sich im Haus um Hörspiel und Literatur, Konzerte und Opern kümmerten, sollten jetzt zusätzlich Persönlichkeiten engagiert werden, die mit ihrem Profil ein kulturelles Programmangebot prägen und vor allem ihre Vernetzungen im Literatur- und Musikbetrieb nutzen konnten. Auf Honorarbasis sollten sie neben ihren anderweitigen beruflichen Aufgaben für einige Jahre an das Medium Rundfunk gebunden werden. Als „Herausgeber“ sollten sie unabhängig ihre Konzeptionen entwickeln und so neue wichtige Impulse vermitteln können.
- Teil 1: „Das Dritte Programm will niemanden unterhalten“
- Teil 2: Start mit zwei prominenten Persönlichkeiten