Der Florentiner Mann – ein Antiheld

von Branka de Veer
Hermann Blumenthal arbeitet am Gipsmodell des Florentiner Mannes. © Georg Kolbe Museum
Hermann Blumenthal mit dem Gipsmodell des Florentiner Mannes (1937)

Das Oeuvre von Hermann Blumenthal (1905 – 1942) umfasst Porträtköpfe, Reliefs, Zeichnungen, Radierungen und lebensgroße, meist männliche, Figuren. Diese Figuren sind moderne Varianten der antiken Idealgestalt des jungen Mannes. Die sogenannten "Jünglinge", von denen fünf erhalten sind, bilden eine eigene Werkgruppe, an deren Abschluss der Florentiner Mann steht. Obwohl die Jünglingsgestalten keine individuellen Merkmale aufweisen, wurden sie häufig autobiografisch gedeutet.*(1). Unabhängig von solchen späteren Zuschreibungen stellte die Plastik in ihrer Entstehungszeit zunächst einen deutlichen Gegenentwurf zum kampfbereiten, propagandatauglichen Typ des Helden dar.

 

Körperspannung und Achsensymmetrie

Gut sichtbar für die Vorübergehenden kniet der Florentiner Mann auf seinem Podest. Die emporgereckten Arme bewirken eine starke Dehnung des Rumpfes und halten die gesamte Figur in Spannung. Der durchgestreckte Oberkörper zieht den Blick auf sich. An der insgesamt schmalen Statur zeichnen sich alle Rippen deutlich ab. Betrachtet man die Plastik von vorn, dominiert strenge Achsensymmetrie: Hüft- und Schulterlinie verlaufen parallel zueinander. In der Seitenansicht stehen sich Arme und Beine wie zwei gespiegelte Winkel gegenüber. Die Komposition - ohne erklärende Hinweise - lässt keine eindeutigen Rückschlüsse auf unsere Lebenswelt zu, deswegen beflügelt sie die Fantasie der Vorübergehenden bis heute.

 

Weihevolle Ruhe und Strenge

"Wenn ich doch einmal das machen würde oder könnte, was mir vorschwebt. Eine große einfache Form, alles soll natürlich und ruhig aussehen."*(2), schrieb Blumenthal 1935. Um diese Wirkung zu erreichen, wählte er bewegungsarme Posen wie Sitzen, Stehen oder Knien, wobei die Figuren oft eine starre, unnatürliche Haltung einnehmen. Die Gesichter tragen keine individuellen Züge und die Blicke verlieren sich häufig in unbestimmte Ferne. Das Ergebnis sind Körper und auch Köpfe von großer weihevoller Ruhe und Einfachheit. Auch der Florentiner Mann in seiner statuarischen Strenge, scheint der Realität entrückt und avanciert so zur Symbolfigur.

 

Aktuelles Symbol für Verletzlichkeit?

Auffälligstes Merkmal des Florentiner Mannes sind die erhobenen Arme mit den zusammengelegten Fäusten.*(3) Als formales Gestaltungselement entsteht durch diese Haltung ein kantiger, nach oben geschlossenen Umriss. Die Stellung der Hände erinnert an Fesseln, das Knien an Flehen oder Bitten, der freigelegte Oberkörper signalisiert Schutzlosigkeit. Blumenthal legte mit dem Florentiner Mann vielleicht ein Zeugnis seiner eigenen, angespannten Lebenssituation ab. Da er der Figur aber keine individuellen Merkmale beigab, öffnete er den Blick für alle Wehrlosen, an Körper und Geist Verwundbaren. Heute gewinnt ein zeitloses Symbol für die Verletzlichkeit des Menschen stetig an Aktualität.

 

Der Florentiner Mann von Hermann Blumenthal auf dem NDR-Gelände vor dem Funkhaus am Rothenbaum in Hamburg. © NDR Foto: Marco Peter

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