Warum Einsamkeit die Demokratie gefährdet
Wer einsam ist und sich noch dazu gesellschaftlich abgehängt fühlt, ist eine willkommene Zielgruppe für Populisten. Das könne fatale Folgen für die Demokratie haben, meint der Soziologe Berthold Vogel.
Wer einsam und allein zu Hause sitzt, hat kein Korrektiv. Da schaut keine Ehefrau, kein Ehemann über die Schulter und sagt mal: Nun aber mal Schuss. Stattdessen ist das Handy schnell zur Hand. "Da hacke ich dann meinen ganzen Hass hinein", sagt Berthold Vogel vom Soziologischen Forschungsinstitut Göttingen. Und schickt ihn damit oftmals in die ganze Welt.
Im schlimmsten Fall würden sich die Menschen dann auch gleich ganz von der Demokratie abwenden, nach dem Motto: "Denen da oben bin ich doch sowieso egal." Für den Soziologen Vogel ist das nicht nur eine Folge von Einsamkeit per se, sondern auch der Entwicklung geschuldet, dass sich ein relevanter Teil der Bevölkerung zurückziehe, weil ihm die Gelegenheiten fehlten, mit anderen in Kontakt zu treten. Gerade hat die Bundesfamilienministerin Zahlen genannt: 11 Prozent der Deutschen, mehr als acht Millionen Menschen, sind einsam.
Das sei ein Problem für die Demokratie: Einsame beteiligten sich seltener an Wahlen. Im Buch "Einsamkeit und Ressentiment" gehen Vogel und zwei Kolleg:innen der Sache auf den Grund. Und sie ordnen ein: Einsamkeit könne jeden und jede treffen. Und: Nicht jeder Mensch, der allein sei, träume vom Führerstaat, hasse Minderheiten. Einsamkeit sei außerdem nicht nur ein Problem der Alten.
Einsamkeit ist nicht nur ein Phänomen des Alters
"Wir haben zum Teil Untersuchungen, in denen 40 Prozent der jungen Leute, also eine Altersgruppe zwischen 15 und 24, sagen, dass sie das Gefühl der Einsamkeit sehr gut kennen und sich auch oft einsam fühlen", führt Vogel aus.
Eine aktuelle Studie zeigt, was das politisch bedeutet. Dem Satz "Einige Politiker haben es verdient, dass die Wut gegen sie auch mal in Gewalt umschlägt“, stimmen 34 Prozent der einsamen Jugendlichen zu – 10 Prozent mehr als die , die sich nicht einsam fühlen.
Klar, an einem Tag, den man ganz allein verbringt, kann man auf die seltsamsten Gedanken kommen. Wer chronisch einsam ist, wird oft immer misstrauischer: Gegenüber den anderen, die so weit weg sind, die man einfach nicht mehr versteht. Und diese Art von Misstrauen kann sich weiterfressen, bis einem das ganz große Miteinander unheimlich und fremd wird.
"Das ist sicherlich keine demokratieförderliche Tugend, misstrauisch zu sein", sagt Vogel. Denn Demokratie, gerade eine repräsentative Demokratie, lebe vom Vertrauen der Menschen aufeinander, auch von dem Vertrauen auf die Regierenden, dass sie den Anforderungen einer demokratischen Gesellschaft auch gerecht würden.
Verschiedene Faktoren führen zu Einsamkeit
Einsamkeit passiert überall, im Hochhaus, wo man isoliert nebeneinander her lebt. In der luxuriösen Villa nach der Scheidung, im Einfamilienhaus, wenn die Kinder ausgezogen sind. Es gibt viele Gründe für Einsamkeit: chronische Krankheiten, die neue, kurzlebige Arbeitswelt, das Ende alter Beziehungsmodelle.
Früher war nicht alles besser. Aber es gab Strukturen, die vor Einsamkeit geschützt haben: Vereine, die Ortsverbände von Parteien, die Kirchen. Die sind zwar nicht ganz weg, aber viele lösen sich langsam auf. Genauso, wie viele Orte verloren gehen, wie das Wirtshaus, die lokale Grundschule oder das lokale Bürgeramt. "Das sind auch alles Orte, an denen Menschen tendenziell zusammenkommen und sich dort treffen können und einander begegnen und Gelegenheiten finden, sich einander zu begegnen. All diese Infrastrukturen sind in bestimmten Regionen erheblich ausgedünnt", gibt Vogel zu bedenken.
Dort, wo Menschen sich abgehängt fühlten, wo etwa kein Bus in die nächste Stadt mehr komme, wo die Kneipe dicht sei, fühlten Menschen sich häufiger als Opfer, suchten nach Schuldigen. Für Populisten seien die Einsamen ein besonders dankbares Publikum.
"Sie versprechen ihnen Anerkennung ihrer Probleme", sagt Vogel. Populisten versprächen den vermeintlich Angehängten, auch ein Sprachrohr zu sein, ihnen die negativen Gefühle, die sie im Alltag haben, in einer neuen Gemeinschaft aufheben zu können.
Das Problem der Einsamkeit ist so groß, dass sowohl die Bundesregierung als auch das Land Niedersachsen etwas dagegen tun wollen. Die Frage ist: Was?
Politik muss das Gelingen von Gemeinschaft fördern
"Man kann niemandem zur Geselligkeit zwingen, aber ich denke schon, dass staatliche und kommunale Akteure Strukturen und Orte schaffen können, die zumindest das Gelingen von Gemeinschaft und die Möglichkeiten, zueinander zu kommen, verbessern", sagt Vogel.
Nicht in jedem Dorf ohne Gasthaus sei die Demokratie am Ende. Und nicht jeder einsame Mensch werde in die Kneipe gehen, wenn es sie dann wieder gäbe. Aber irgendwo müsse er anfangen - der Versuch, dieses Land ein bisschen weniger einsam zu machen.