Podcast "Feel Hamburg" mit Wolf Biermann - Lyriker und Liedermacher
Er hat die "Operation Gomorrha" zusammen mit seiner Mutter in Hamburg erlebt: Wolf Biermann weiß, was es bedeutet, zwischen Ruinen aufzuwachsen.
"Ich habe von dieser Bombennacht im Juli '43 nichts vergessen. Kein Wort, kein Gesicht, keine Farbe, keinen Geruch, keinen Schrei", erinnert sich Wolf Biermann an das grauenhafteste Erlebnis seiner Kindheit. Zu jener Zeit lebte die Familie im Hamburger Stadtteil Hammerbrook, einem der Gebiete, die unter der Bombardierung besonders zu leiden hatten. "Die Bomben fielen gleich in zwei Nächten auf die selben Stellen und dann gab es nicht mal mehr Ruinenstümpfe wie in den anderen Stadtteilen." Dieser, durch den Krieg schwer gebeutelte Stadtteil ist tief in Biermanns Herz verankert und er klingt wehmütig, wenn er sich im Podcast "Feel Hamburg" erinnert. "Da fließt nicht die Alster in die Elbe, sondern die Bille. Und da wohnten die Arbeiter. Da wohnten die Proleten. Da waren die Fabriken, die Kanäle, die Schuten. Meine Leute waren ja Hafenarbeiter. Mein Vater hat als Schlosser und Maschinenbauer Schiffe gebaut und wir haben zu Hause Platt gesprochen."
Rache für den ermordeten Vater
Sein Vater war auch der Grund für Wolf Biermanns Übersiedlung in die DDR. Er war als Kommunist von den Nazis ermordet worden und seine Mutter bläute ihm ein, dass er seinen "Vater rächen" solle. "Als kleiner Kommunist wollte ich die Menschheit retten und den Kommunismus aufbauen. Das konnte ich nur bei den Genossen in der DDR lernen", so Biermann. Also machte er sich 1953 auf den Weg und verließ seine Heimatstadt Richtung Osten.
Dort angekommen, folgte das böse Erwachen. Wolf Biermann merkte schnell, dass sich hinter seinen romantischen Vorstellungen eine ganz andere Wirklichkeit verbarg. "Ich habe immer deutlicher begriffen, dass die Diktatur, die dort herrschte, nicht etwa die Diktatur des Proletariats über die Bourgeoisie war, sondern ganz umgekehrt. Es war die Diktatur einer Clique von Bonzen der Partei gegen das Proletariat, gegen das Volk." Mit Texten, mit Gedichten und mit Liedern hat sich Wolf Biermann dann aufgelehnt und bei jeder sich bietenden Gelegenheit den Finger in die Wunde gelegt. Damit machte er sich im Lauf der Zeit so viele Feinde, dass sich die DDR-Führung irgendwann nicht mehr anders zu helfen wusste, als ihn nach einer erfolgreichen Tournee durch die alte Bundesrepublik nicht mehr zurück in die DDR zu lassen.
Unbequemer Mahner
"Ich erfuhr das im Autoradio auf der Fahrt zum zweiten Konzert nach Bochum und dachte, mein Leben ist zu Ende. Ich dachte, ich muss sterben", resümiert Biermann. Ihm seien damals nicht nur seine vertrauten Freunde, sondern auch seine vertrauten Feinde in der DDR verloren gegangen. "Statt mich zu freuen, ich kleiner Idiot, dass ich nun endlich mal vor vielen Menschen singen kann und endlich mal Gage kriege für das Singen, statt Fußtritte von den Funktionären der Partei war ich unglücklich über mein Glück. Ich hatte Angst, dass ich überhaupt nix mehr liefern kann, was irgendwelche Leute brauchen." Diese Sorge war allerdings unbegründet. Seit mehr als 45 Jahren lebt der unbequeme Liedermacher und Lyriker inzwischen wieder in Hamburg und ist ein Mahner geblieben, Missstände gibt es schließlich überall auf der Welt.
Im Gespräch mit Daniel Kaiser erinnert sich Wolf Biermann auch an sein legendäres sechsstündiges Konzert im CCH, bei dem er von Udo Lindenberg unterstützt wurde. Er erzählt, wie sein berühmtestes Werk "Ermutigung" den Weg in das evangelische schwedische Gesangbuch gefunden hat und er erklärt, warum er so gerne in Altona lebt.
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