In Erinnerung an Ernst Christ
Wir alle hier im Landesfunkhaus Schleswig-Holstein sind in diesen Tagen sehr traurig. Unser lieber Kollege Ernst Christ ist tot. Er verstarb nach kurzer aber sehr schwerer Krankheit am 2. März 2016. 34 Jahre lang arbeitete er für den NDR. Seit Ende der 80er-Jahre leitete er die Niederdeutsche Zentralredaktion des NDR und die Abteilung Heimat, Kultur und Wissenschaft.
Ernst Christ war einer der feinsten Menschen, die ich je getroffen habe. Im NDR wahrscheinlich der feinste. Wer ihn kannte, wird das bestätigen. Feinsinnig, feinfühlig, feingeistig, empathisch, offen und in unvergleichlicher Weise seinem Gegenüber zugewandt. Ein offenes Ohr für Alles und Jeden, milde, mit liebenswürdigem, leisem Humor. Und auf der anderen Seite ein Journalist von größter Leidenschaft. Für das Radio, für Schleswig-Holstein, das Land zwischen den Meeren, seine Menschen, seine Kultur und seine Sprachen. Und für seine Redaktion. Volker Thormählen, Direktor Landesfunkhaus Schleswig-Holstein
Gearbeitet hat er beileibe nicht nur vom Schreibtisch aus. Ernst Christ hielt pausenlos Kontakt zur Außenwelt als Reporter und Moderator. Ein paar wenige Beiträge von den vielen, die dabei in den letzten Jahren entstanden, haben wir hier zusammengestellt. In Erinnerung an einen großartigen Hörfunkjournalisten, liebevollen Kollegen, Freund und einen kameradschaftlichen Chef. Viele von Ihnen werden zumindest seine Stimme kennen und sich gerne an seine Berichte erinnern.
Sensation: "West-Rundfunk" sendet von Rostocker Weihnachtsmarkt
Ernst Christ liebte es, journalistisch immer wieder das Unmögliche möglich zu machen."Du weißt nie, ob es klappt, wenn Du's nicht probiert hast", war einer seiner Grundsätze. Und so gelang ihm zum Beispiel 1986 das damals Undenkbare: NDR 1 Welle Nord durfte live aus der DDR berichten. Nach einem Briefwechsel, der gleich mehrere Aktenordner füllen dürfte, konnte er gemeinsam mit seiner damaligen Kollegin Marlies Fertmann und unseren Technikern Peter Triebel und Fiete Bartmann auf den Rostocker Weihnachtsmarkt. Sehr fürsorglich betreut von einer Mitarbeiterin der Staatssicherheit, konnten sie dort unseren Übertragungswagen parken.
Niemand hätte es in diesen Tagen allerdings für möglich gehalten, dass dem vier Jahrzehnte lang geteilten Deutschland noch eine weitaus größere Sensation bevorstand. 1989, weniger als drei Jahre später: Der Fall der Mauer. Eingeleitet durch Demonstrationen innerhalb der DDR und der Massenflucht über sich öffnende Grenzen der Nachbarstaaten.
Lübeck 1989: Sonderzug in die Freiheit
Als am 30. September 1989 klar wurde, dass die etwa 4.000 DDR-Bürger, die Zuflucht in der bundesdeutschen Prager Botschaft gefunden hatten, nach Westdeutschland ausreisen durften, machte sich Ernst Christ sofort auf den Weg. Er entschied von jetzt auf gleich, ihnen entgegen zu fahren - ohne Gepäck, mit der Bahn zum bayrischen Grenzstädtchen Hof. Dort wartete er auf den Sonderzug aus Prag, setzte sich zu den DDR-Flüchtlingen ins Abteil und machte unter anderem diese Reportage:
Zu behaupten, Ernst Christ war besonders geschichtlich interessiert, stimmt, ist aber ein Understatement. Er interessierte sich für fast alles. Seefahrt, Fischerei, Natur, Politik, Sport und Sprachen. Nur Klatsch und Tratsch war so gar nicht seins. "Mir sagt ja keiner was" war immer seine Antwort, wenn Kollege Andreas Schmidt mal wieder fragte: "Was gibt's neues an der Gossip-Front"?
Unterwegs im Auftrag der Geschichte
Zu seinen vielen Interessensgebieten gehörte auch die Zeit des Nationalsozialismus. Wie viele andere versuchte auch er die Grausamkeit des Regimes in ihrer Unverständlichkeit zu verstehen. Als 2001 die damalige Ministerpräsidentin Heide Simonis mit 20 schleswig-holsteinischen Schülern die KZ-Gedenkstätte Auschwitz besuchte, fuhr er mit, um die Eindrücke der jungen Menschen für die Hörer von NDR 1 Welle Nord zu dokumentieren.
Geschichte im Radio begreifbar machen, das konnte Ernst Christ wie kaum ein anderer. Als sich der Krieg zwischen Preußen/Österreich und Dänemark 2014 zum 150. Mal jährte, produzierte er gemeinsam mit einem Kollegen von Danmarks Radio mehrere Stunden Sendung über das komplexe Thema. Aber Ernst Christ war durch und durch Radiomann: Komplexe Informationen, verständlich und knapp erzählen, war für ihn kein Problem: So konnte er unseren Hörern auch den Krieg von 1864 in Kurzform erläutern. In 89 Sekunden - ohne Schnörkel und Besserwisserei, dafür mit Unterstüzung der Kollegin Kathrin Völkers aus dem Nachrichten-Team.
Besondere Momente in der Reihe "Schleswig-Holstein Privat"
In seinen Interviews schaffte es Ernst Christ wie kein anderer, eine besondere Nähe zu seinem Gegenüber herzustellen. Das wurde zum Beispiel gerade innerhalb der Sendereihe "Schleswig-Holstein Privat" deutlich. In dieser Sendung interviewte er schier unzählige Persönlichkeiten aus Schleswig-Holstein: Den Liedermacher Hannes Wader und den Autor Günter Kunert, den Filmemacher Detlef Buck und den Schriftsteller Feridun Zaimoglu, den ehemaligen Ministerpräsidenten Peter Harry Carstensen und den amtierenden Landtagspräsidenten Klaus Schlie, Entertainerin Ina Müller und die ehemalige Präsidentin des Deutschen Roten Kreuzes in Schleswig-Holstein, Marie-Alix Herzogin zu Schleswig-Holstein und viele, viele mehr. Auf eine besondere Weise öffnete sich ihm gegenüber Matthäus Weiß, der Landesvorsitzende der Sinti und Roma.
Die Minderheiten des Landes, sie lagen Ernst Christ am Herzen. Sie im Programm von NDR 1 Welle Nord mit ihren Interessen zu berücksichtigen, war sein besonderes Anliegen. Und das war auch der Grund, aus dem Ernst Christ ein bisschen Friesisch lernte. Das konnte er dann zum Beispiel im Gespräch mit Ilse Johanna Christiansen, der Vorsitzenden des Friesenrates anwenden.
Ernst Christ liebte die Kommunikation und er liebte Sprachen. Von vielen war er gewissermaßen nur "nass gespritzt". Er konnte ein bisschen Polnisch, ein bisschen Friesisch, aber ins Niederländische war er tief eingetaucht. Schließlich hatte er neben Theaterwissenschaften auch Niederlandistik studiert. Auch Dänisch sprach er fließend. Der ehemalige Schlagerstar Gitte Haenning war dann auch ganz begeistert, als er sie in ihrer Landessprache begrüßte. Bei einem Treffen auf der Blomenburg von Selent im Jahr 2008. Hier wollte Gitte ihren Geburtstag feiern.
Ernst Christ - kein Plattschnacker der ersten Stunde
Natürlich gehörte zu den Sprachen, die Ernst Christ beherrschte, auch das Plattdeutsche. Wer ihn in dieser Sprache hörte, war überzeugt davon: Er war mit dem Plattdütschen aufgewachsen. Aber das stimmt nicht. Als Sohn eines Schlesiers und einer Lübeckerin musste er es sich selbst beibringen. Es war eine gute Entscheidung. Denn so konnte er Anfang der 80er in der Niederdeutschredaktion des NDR anheuern. Irmgard Harder war damals seine Chefin und war gleich beim ersten Bewerbungsgespräch begeistert.
Auch mit dem 2012 verstorbenen Professor Reimer Bull, der Plattdeutsch-Ikone, verband ihn etwas, das sich wohl am besten mit gegenseitigem Respekt und mit Hochachtung beschreiben lässt.
Leidenschaft für Geschichten und seine Familie
Ernst Christ steht in diesem Artikel da, wo er sehr ungern stand: im Mittelpunkt. Auch wenn er in zahlreichen Gremien mitarbeitete, wie dem Niederdeutschen Beirat, beim Landtag oder dem Beirat des Friesischen Hörfunks, auch wenn er auf vielen Bühnen moderierte und überhaupt häufig in ein Mikrophon sprach: Es war nicht die Geltungssucht, die ihn trieb, sondern schlicht die Sache selbst. Meistens die Geschichte, die er erzählen wollte.
Eines soll am Ende noch klargestellt werden: Sollte in dieser Sendung der Eindruck entstanden sein, sein Beruf, der NDR, wäre Ernst Christ das wichtigste im Leben. Der Eindruck ist falsch. Das Wichtigste für ihn war seine Familie. Seine Frau Renate und seine beiden Kinder Jan und Jule. Ihnen gilt das Mitgefühl der gesamten NDR 1 Welle Nord Familie.