Das geteilte Dorf Rechlin: 30 Jahre "Mauerfall"

Stand: 07.07.2023 21:33 Uhr

Bis 1993 war Rechlin (Kreis Mecklenburgische Seenplatte) durch eine Mauer getrennt. Die Deutschen waren ausgesperrt, die Soldaten der ehemaligen Sowjetarmee eingesperrt. Vor 30 Jahren ist die Mauer auch in Rechlin gefallen.

von Thomas Köhler, Haff-Müritz-Studio Neubrandenburg

NDR 1 Radio MV - Dorf Stadt Kreis: Annette Ewen und Mirja Freye © iStock Foto: golero
AUDIO: 30 Jahre Rechliner "Mauerfall" - Das geteilte Dorf (#131) (32 Min)

Ein Mauerpark sollte diesen Sommer eröffnet werden. Wegen der vielen Bombenfunde musste das um ein Jahr verschoben werden. US-Luftstreitkräfte hatten das Dorf im Zweiten Weltkrieg mehrfach bombardiert. Hier erprobte das Deutsche Reich Luftwaffen.

Der Bürgermeister von Rechlin, Wolf-Dieter Ringguth. © NDR
Der Bürgermeister von Rechlin, Wolf-Dieter Ringguth (CDU).
Das geteilte Dorf Rechlin ist noch nicht "über den Berg"

"Wir sind noch nicht über den Berg, aber das Gröbste haben wir wohl in den ersten 20 Jahren nach dem Mauerfall geschafft", meint Wolf-Dieter Ringguth (CDU). Er war 1993 Bürgermeister und ist es auch heute. Von blühenden Landschaften wie Helmut Kohl sie nach der Wende versprochen hatte, will er erst gar nicht reden. Auch wenn er den damaligen Bundeskanzler sehr verehre. "Solche Worte nehme ich nicht in den Mund." Nach dem Zweiten Weltkrieg hatten sich 5.500 Soldaten der sowjetischen Streitkräfte hier angesiedelt. Sie lebten in einem von einer Mauer begrenzten Bereich. 1993 verließen sie den Ort. Was blieb war ein geteiltes Dorf, eine leere Waldsiedlung mit 65 Backsteinhäusern, Neubaublöcken, Kasernen, und einer Schule. Die russischen Soldaten hatten auch ihre Haustiere zurückgelassen: Dort streunten 74 Katzen und sechs Hunde herum.

Schild des Straßennamens "Ul. Sovetskaja" © NDR
Schild des Straßennamens "Ul. Sovetskaja"
Mauerpark oder Bomben-Beseitigung

Ein Investor, der alle Häuser kauft, das wollte die Gemeinde verhindern. Deswegen erließ sie eine Erhaltungssatzung für die Siedlung. Wer es sich von den Rechlinern leisten konnte, kaufte sich mit einem günstigen Kredit ein Haus der Waldsiedlung und steckte dort viel Herzblut rein. "Meine Eltern sind ein Jahr lang jeden Tag zu uns gekommen, um uns zu helfen. Sonst hätten wir das niemals geschafft", erinnert sich Doris Breuer. An ihrem Haus hängt noch das Schild des Straßennamens "Ul. Sovetskaja" in kyrillischer Schrift. "Damit wir uns erinnern, wo wir herkommen", sagt sie. Erinnerung, das strebte auch Wolf-Dieter Ringguth mit einem Mauerpark an. Doch dessen Eröffnung muss er um mindestens ein Jahr verschieben: "Wollt ihr die 1,5 Millionen Euro Fördermittel für euren Mauerpark haben oder für die Beseitigung der Bomben, hat das Wirtschaftsministerium in Schwerin gesagt. Was blieb uns da weiter übrig, als das Geld für die Bergung der Bomben zu nehmen", erklärt der Bürgermeister. Nun fehlt es beim Mauerpark.

Fehlende Fördermittel und mögliche Zwangsenteignungen

Infotafeln in Rechlin © NDR
Infotafeln zur Rechliner Mauer.

Dort, wo die Mauer früher quer durch den Ort verlief, wachsen die ersten Hecken. Rund herum soll ein Kurpark entstehen mit vielen Aufenthaltsgelegenheiten für Einheimische und Touristen. Rund 70.000 Menschen machen jedes Jahr Urlaub in Rechlin, mehr als 100.000 radeln auf dem Radweg rund um die Müritz, der unmittelbar am Mauerpark vorbeiführt. Dort wurde zum 20. Jahrestag eine Infotafel zur Rechliner Mauer eingeweiht. Viele Touristen halten dort an und staunen, dass es in der DDR nicht nur in Berlin eine Mauer gab.

Den Mauerpark würde Ringguth im nächsten Jahr gerne einweihen und hofft dazu auf die fehlenden Fördermittel. Auch würde er dem Dorf, in dem er seit mehr als 40 Jahren lebt, gerne noch ein Stück weiter über den Berg helfen. Er denkt da an die sowjetischen Schule am Alten Markt. "Das ist ein wunderschönes Gebäude. Hier ist schon mein Schwiegervater zur Schule gegangen. Nun zerfällt es. Hätten wir es doch damals bloß gekauft, dann wäre ihm das erspart geblieben." Stattdessen erwarb das Haus ein Geschäftsmann aus den alten Bundesländern, der bisher offenbar keinen Finger dafür rührte. Inzwischen denkt Ringguth laut über eine Zwangsenteignung nach. Und die Schule ist nicht das einzige Haus, das ihm Sorgen bereitet. Im Wald stehen die alten Kasernen, die einem Investor in Dubai gehören. Zudem habe es in 30 Jahren keinen einzigen Kontakt gegeben, so Ringguth. Sein Entschluss steht deshalb fest: "Back to the Nature." Die Natur soll sich zurückholen, was ihr einmal gehörte.

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