"Gestern, ich und morgen!"
Die Gemeinde Löcknitz liegt im äußersten Osten von Mecklenburg-Vorpommern, fast an der Grenze zu Polen. Es ist Sommer, die Felder auf dem Weg stehen voll mit goldenem Korn. Auch wenn viele hier nur durchfahren: Es gibt eine schöne Badestelle, eine alte Burg, viele Menschen sprechen Polnisch und Deutsch und es werden oft Veranstaltungen organisiert, wie das Seefest am Wochenende.
"Ich bin Marcel, fast 21 Jahre alt und ich gehe seit ungefähr sechs Jahren auf die Randow-Schule in Löcknitz! Jetzt bin ich in der Abschlussklasse. Mein Schultag beginnt im Gruppenraum des Barackenbaus, hier treffen wir uns und besprechen, was wir machen. Die einen kochen, andere machen sauber und ein paar von uns gehen dann in den Unterricht. Mathe mag ich am meisten, auch den Sportunterricht mag ich sehr gern. Ich kann sehr gut rechnen, bin einer der besten an der Schule in dem Fach. Und ich treibe jeden Tag Sport - ein paar Klimmzüge mache ich, viel Kraftsport. Das Lesen dagegen fällt mir sehr schwer, ich kann nicht alle Worte gut erkennen. Je länger die Worte sind, desto schwerer ist es für mich."
Eine Schule mit besonderen Ansprüchen
Marcel, Ann-Christin und Tim gehen auf eine ganz besondere Schule, hier geht es um individuelle Lebensbewältigung - das heißt: Die Schule hat einen Förderschwerpunkt für geistige Entwicklung. 33 Schülerinnen und Schüler lernen hier. Manche Kinder sitzen im Rollstuhl, andere sind kleinwüchsig, wieder andere haben es schwer, zu lernen. Deshalb braucht die Schule besondere Räumlichkeiten, sie muss zum Beispiel behindertengerecht sein. Und genau hier gibt es ein paar Probleme, die sich die Online-Reporterinnen und Reporter für diesen Artikel mal genauer angeguckt haben.
"Zwischendurch gibt es in der Schule auch mal Streit, denn es ist ganz schön eng hier. Wir können einander schlecht ausweichen und lenken uns damit eben auch gegenseitig vom Lernen ab. Das ist für diejenigen besonders schwer, die sich ohnehin nicht so gut auf die Schule konzentrieren können." Auch Kinder und Jugendliche, die im Rollstuhl sitzen, brauchen hier mehr Kraft und Anstrengung als in behindertengerechten Räumen: Sie müssen Türschwellen überwinden, sich mit engen Fluren herumärgern und hoffen, dass nicht jemand achtlos eine Tür öffnet - denn auch die gehen nach außen auf. Eine Verletzungsgefahr für alle.
Kinder, Eltern und Schule ziehen an einem Strang
Ein Mitschüler von Marcel ist der 21-jährige Tobias Neumann. Dessen Mama Gerlind ist Vorsitzende der Schulkonferenz der Randow-Schule. Diese Konferenz ist dazu da, Fragen zu erörtern, Probleme zu klären, zu beraten, Entscheidungen zu treffen. Im Grunde ist es die Schnittstelle zwischen Eltern und Schule. Für Frau Neumann ist es selbstverständlich, sich zu engagieren: "Elternvertretung - das hab ich schon immer irgendwie mitgemacht. Auch meine Eltern waren immer in der Elternvertretung, da bin ich "vorbelastet". Das ist ja eine Unterstützung für die Kinder und die Lehrer... man kann ja seine Kinder nicht einfach abgeben und dann sollen die Lehrer mal sehen, wie sie zurechtkommen!"
"Förderschulen, also Schulen für behinderte Kinder, kennt man ja im Grunde nicht, wenn man nicht betroffen ist. Ich habe drei Kinder, Tobias ist der Jüngste. Und er geht richtig gern zur Schule. Bevor er vor vielen Jahren eingeschult wurde, haben wir uns für Löcknitz entschieden und das haben wir bis heute nicht bereut. Auf der einen Seite ist es praktisch, wir haben es nicht so weit. Viel wichtiger ist aber, dass die Lehrerinnen und Lehrer hier ganz toll sind!"
Acht Jahre Kampf um eine Sanierung der Schule
Probleme gibt es natürlich auch - die Räumlichkeiten zum Beispiel, erklärt Frau Neumann. Der Träger der Schule ist der Landkreis Vorpommern-Greifswald. "Wir haben immer versucht, etwas zu bewegen, aber es hat nicht richtig funktioniert. Mit dem Direktor Herrn Belz bin ich auf einer Wellenlänge, wir haben gemerkt, dass wir zusammen was schaffen können. Fernsehen, Zeitung, Briefe an den Ministerpräsidenten. Damit haben wir im Grunde den Landkreis dazu genötigt, was zu tun. Wir haben ein paar Mal Hoffnungen geschöpft in den vergangenen acht Jahren. Nach langem Hin und Her konnten wir jetzt Fördermittel für eine Sanierung bekommen!"
Geschafft! Die Sanierung kommt...
"Gerade hat es die Kreistagssitzung mit dem erlösenden Beschluss der Politiker gegeben - grünes Licht für den Anteil, den der Landkreis aufbringen muss. Als der gesamte Kreistag dafür gestimmt hat, dass das Geld für die Sanierung der Schule bereitgestellt wird, hatten wir alle Gänsehaut. Es ist uns eine Last von Tonnen vom Herzen gefallen." Ganz glauben möchte Gerlind Neumann noch nicht, dass es jetzt wirklich losgeht. Sie sagt: Es waren schwere acht Jahre, aber wenn es jetzt klappt, dann hat es sich wirklich gelohnt.
Zwei Blicke in die Zukunft
"Ich werde meine Schule in diesem Jahr verlassen und arbeite dann in den Gemeinnützigen Wohn- und Werkstätten, die es hier in Pasewalk gibt. Da kann ich wohl in der Holzwerkstatt anfangen, in der Küche oder der Wäscherei. In der freien Wirtschaft wäre es für mich einfach zu schwer, über Praktika haben wir das geklärt.
Für die Randow-Schule in Löcknitz soll es schon im Herbst in die Bauphase gehen. Das bedeutet: Die Schüler ziehen vorübergehend um in ein benachbartes Schulgebäude. Ein Teil der Randow-Schule soll stehen bleiben, ein Teil wird erneuert. Breitere Flure, Gruppen-, Unterrichts- und Therapieräume, ordentliche Toiletten und Waschräume, eine vernünftige Heizung und ein Lehrerzimmer sind zum Beispiel geplant. Und alles soll behindertengerecht sein. Zwischen zwei und drei Jahre soll das Ganze dauern, Kostenpunkt: 1,7 Millionen Euro.
Marcel ist auch schon ganz gespannt, wie sich das alles verändern und entwickeln wird. "Ich freue mich zwar auf ganz andere Aufgaben in der Zukunft, meine alte Schule werde ich aber natürlich nicht vergessen und irgendwann auch wieder hierher zurückkommen, um zu sehen, was sich alles verbessert hat!"
Dieser Artikel ist durch Schülerinnen und Schüler im Rahmen eines Workshops des Medienbildungsprojekts NDR Newcomernews des NDR Landesfunkhauses entstanden.