Gänsehaut-Momente bei "Hannover Proms"
Auch hartnäckige Regenschauer hielten die Fans der NDR Radiophilharmonie am Samstagabend nicht vom Konzertgenuss im Park ab: Trotz des kühlen und unbeständigen Septemberwetters fanden sich zu "Hannover Proms" wieder gut tausend Zuhörer im bunt illuminierten Stadtpark ein, um von dort die Saisoneröffnung der NDR Radiophilharmonie und Chefdirigent Andrew Manze im ausverkauften Kuppelsaal mitzuverfolgen. Gut versorgt mit Picknick und vor allem Regenjacken blieb der Hörgenuss ungetrübt, auch unter dicken Regenponchos und mit Schirmen in der Hand war der Applaus im Park enthusiastisch.
Effektvoller Einstieg
Bereits das erste Stück, Tschaikowskys Ouvertüre "1812", versetzte in den Facettenreichtum des Programms: Den Wechsel zwischen elegischen Melodien und wilder Dramatik ließ die NDR Radiophilharmonie gemeinsam mit den beteiligten vier Chören zum Motto des gesamten Abends werden. An Effekten sparten die Musiker nicht, denn sie nutzten bei dieser Ouvertüre neben Kirchenglocken sogar zusätzliche Lichteffekte - der dramatische Einstieg in die "Hannover Proms" und die neue Saison zog gleich in den Bann. Vielseitigkeit und Kontraste sorgten auch weiterhin für mitreißende Unterhaltung und beste Stimmung, kurzweilig aufgelockert von Moderatorin Susanne Stichler. Zwischen fetzigen Hits wie dem populären "Säbeltanz", bei dem das Orchester seine ganze Elementargewalt ausspielen konnte, setzten die Musiker immer wieder auf melodisch-lyrische Momente, kongenial unterstützt von den Chorstimmen.
Blick nach Osten
Mit der Ouvertüre war auch der thematische Schwerpunkt des Abends gesetzt, nämlich der "Blick nach Osten": Außer russischen Komponisten wie Tschaikowsky und Borodin standen Werke des Armeniers Chatschaturjan auf dem Programm. "Auch Dvořák ist vertreten, mit einer der schönsten Opernarie überhaupt", schwärmte Andrew Manze, der sich dessen "Lied an den Mond" selbst gewünscht hatte. Borodins "Polowetzer Tänze" waren ebenfalls ein Herzenswunsch, denn die hatte der Chefdirigent in seiner Jugend in der Royal Albert Hall mitgespielt - und ebendiese jugendliche Begeisterung wollte er nun in den Kuppelsaal übertragen, was ihm voll und ganz gelungen ist.
Stimmliche Gänsehaut-Momente
Die Stars des Abends waren die Sopranistin Joyce El-Khoury und der Tenor Joshua Guerrero: Sie sorgten mit stimmlicher Ausdrucksstärke und großer Emotionalität für Gänsehaut-Momente. Wie eng sie auch persönlich verbunden sind, spürte man an der großen Harmonie ihrer Stimmen im Duett aus "La Bohème". Spätestens nach der bravourös von El-Khoury vorgetragenen Arie "Casta Diva" war das Publikum hingerissen. Die Verehrung Guerreros für ihren Sopran spricht für sich: "Ich liebe ihre Stimme! Sie ist sehr kontrolliert und hat eine unglaubliche Dynamik, bis ins kleinste pianissimo." Bei den feinfühlig zurückhaltend vom Orchester begleiteten zarten Passagen schien der Saal den Atem anzuhalten. Umgekehrt bewundert die Sopranistin die "große Verletzlichkeit, Offenheit und Sensibilität" der Stimme ihres Kollegen, die er unter anderem auch mit einer weniger bekannten Romanze aus Puccinis "Le Villi" unter Beweis stellen konnte - eines seiner persönlichen Lieblingsstücke, "ein seltenes Juwel".
Sind wir zu laut?
Das große Finale von "Hannover Proms" ist schon Standard geworden: Bei "Land of Hope and Glory" sang das gesamte Publikum mit. Auch im Park wurden Lichterketten gezückt und Fähnchen geschwenkt. Für Andrew Manze kann es dabei nicht laut genug sein: "Mein Traum dabei ist immer, dass wir Beschwerden vom britischen Publikum bekommen, dass wir zu laut sind und dass sie uns dort drüben hören können." Mit diesem ereignisreichen Abend feierte die NDR Radiophilharmonie einen fulminanten Start in die neue Saison, in der sich das Publikum auf viele spannende Konzertereignisse freuen kann. Für die Musiker ist dieses erste Konzert allerdings noch mehr: "Für das Orchester ist es auch dazu da, so etwas wie eine innere Explosion zu bewirken. Das Programm ist wie ein 'Workout', um uns nach den Ferien wieder zu einem großartigen Orchester zu machen", so Andrew Manze. Nun kann es mit frischen Kräften weitergehen.