Musik 21.3: Asambura-Ensemble
Musik 21 im NDR ist eine Reihe aus vier Konzerten im Kleinen Sendesaal. Namhafte Ensembles für zeitgenössische Musik setzen sich aus verschiedenen Perspektiven mit Klängen der Gegenwart auseinander.
"[un]questioned answer" ist ein Zyklus ausgehend von Charles Ives "The Unanswered Question". Eine Musik wie ein Rätsel: In "The Unanswered Question" (1908) von Charles Ives intoniert die Solotrompete sieben Mal unverändert die "ewige Frage des Seins". Vier Holzbläser unternehmen in zunehmend dissonanter Unruhe Antwortversuche, die letztlich in den durchgehend konsonanten Streichersatz der "Schweigsamkeiten der Druiden" münden. So rätselhaft beschrieb es Ives selber im Vorwort zu einer späteren Neuauflage seiner Komposition. Mit der Asambura-typischen Experimentierfreude entsteht in "[un]questioned answer" ein expressives, eminent energiegeladenes Konzert zwischen klanglich neugedeuteten und rekontextualisierten Werken von Charles Ives, György Ligeti, Steve Reich, Luca Marenzio, Béla Bartók und Maximilian Guth. Eine äußerst abwechslungsreiche Instrumentation des akustisch-elektronischen Ensembles ist Basis für das Neuhören und Neudenken sowie das Loslösen von Klangstereotypen in diesem innovativen Zyklus. Gegensätze zwischen "natürlich" erzeugten instrumentalen Farben (zum Beispiel Holz und Metall: Marimba, Flöte) und "künstlich" erzeugten (Elektronik: E-Gitarre, Synthesizer) spielen dabei eine besondere Rolle.
Viele unbeantwortete Fragen
Die Komponisten des Asambura-Ensembles, Daniel Moreira und Maximilian Guth, spinnen mit "[un]questioned answer" den losen Faden der ihrer Zeit weit vorauseilenden Komposition fort. Sie setzen "The Unanswered Question" in den Kontext der Werke von Musiker:innen, die allesamt die Grenzen scheinbar festgesetzter Kompositionsregeln überschreiten - wenn auch in ganz unterschiedlicher Weise.
Der Zyklus "[un]questioned answer" schafft es, mehr als nur einen Bogen ins Heute zu spannen. Er lädt ein, einen Kreis zu schließen, dessen ewige Schwingung auch weit zurückliegende Vergangenheit berührt. Der Titel von "The Unanswered Question" entstammt dem Gedicht "Die Sphinx" des Transzendental-Philosophen und Poeten Ralph Waldo Emerson. Dessen Sphinx gibt die Frage nach der Existenz des Menschen an den Menschen selbst zurück: Er selber sei ja die unbeantwortete Frage. Im Moment dieser wechselseitigen Auflösung von Frage und Antwort schmilzt, zerfließt, verglüht und erblüht die in Stein gehauene Sphinx in Wolken, Wellen, Flammen, Farben.
Das Verhältnis von Mensch und Natur als Inspiration zur Kunst
Der lebenslang enge Bezug des Komponisten zu der äußerst einflussreichen, bis heute das Kultur-, Gesellschafts- und Wissenschaftsleben der USA prägenden Bewegung der Transzendentalisten beleuchtet weite Teile der Musik von Charles Ives. Zu dem zentralen Thema dieser Bewegung, dem Verhältnis von Mensch und Natur, schrieb Emerson: "Nature, in it's ministry to man, is not only the material, but is also the process and the result. All the parts incessantly work into each other’s hands for the profit of man. The wind sows the seed; the sun evaporates the sea; the wind blows the vapor to the field; the ice, on the other side of the planet, condenses rain on this; the rain feeds the plant; the plant feeds the animal; and thus the endless circulations of the divine charity nourish man." Und an anderer Stelle: "Nature is not fixed but fluid."
Überraschendes, Unerwartetes
Spätestens heute ist in dramatischer Weise unübersehbar, dass wir Menschen dieses Fließen mit zerstörerischer Wirkung ignorieren. In dem Maße, in dem die Frage nach der Existenz des Menschen diejenige nach seinem Verhältnis zur Natur ist und insofern dieses Verhältnis ein fließendes sein muss. Weil ja die Natur selbst ein ewiges Fließen ist. In dem Maße sind auch Unanswered Question und "[un]questioned answer" Teil der Emersonschen "endless circulations of the divine charity". Manche der Stücke des Zyklus‘ zitieren oder reflektieren die Natur, aber keines versucht, ihr Fließen zu illustrieren. Jedoch sind alle kompositorisch so fluide wie auch "The Unanswered Question". Sie arbeiten mit nur scheinbar dissonanten Überlagerungen, mit sich nur scheinbar zufällig ereignenden konsonanten Begegnungen. Vielleicht ist solche Musik einem Paralleluniversum vergleichbar, in welchem Kunst - in ihrer Entstehung, ihrer Performanz und ihrer Wahrnehmung - das Unerwartete, das nicht Beherrschbare, nicht nur zulässt, sondern sogar wünscht und den Raum dafür öffnet. Diese Musik behauptet keinerlei tagesaktuell eindeutig definierbaren Bezug. Sie fordert und fördert aber eine andere, immer noch unvertraute Offenheit für das Unerwartete und seine geheimnisvoll verborgenen Muster. Der Zyklus groovt. Und es kann immer etwas Unerwartetes passieren - interagierend mit den Zuhörer:innen und ihrer Natur, in überraschender, notwendig-zufälliger Weise.