Mendelssohn bis Widmann: Barocke Formen im Blick von Heute
Sarah Maria Sun, eine der gefragtesten Interpretinnen für Neue Musik, hat im 5. Sinfoniekonzert A Jörg Widmanns "Versuch über die Fuge" gesungen.
Arie und Fuge, zwei traditionsreiche musikalische Formen, bildeten die inhaltliche Klammer im fünften Sinfoniekonzert A. Jörg Widmann stellte in diesem Programm eine Streichersinfonie des 13-jährigen Felix Mendelssohn Bartholdy eigenen Werken aus jüngerer Zeit gegenüber. Solistin war Sarah Maria Sun, aktuell eine der gefragtesten Interpretinnen für Neue Musik.
Widmann meets Mendelssohn
Seit 2016 spielt Dirigent Jörg Widmann die "großen" Mendelssohn-Sinfonien zusammen mit dem Irish Chamber Orchestra auf CD ein und garniert sie mit Stücken aus seinem eigenen Werkkatalog. Eine Geistesverwandtschaft ist zweifellos vorhanden: "Die Lust am Tempo, an raschen Stimmungswechseln auf engstem Raum, an Instrumentalfarben - das teilen wir", so Widmann. Ganz zu schweigen von der Tatsache, dass beide, Felix Mendelssohn Bartholdy wie Jörg Widmann, Komponist, Solist und Dirigent in einer Person sind.
Geniestreich eines 13-Jährigen: Mendelssohns Streichersinfonie Nr. 8
Die Streichersinfonie Nr. 8 ist das Werk eines 13-Jährigen. Eine Stilübung, sicherlich - allerdings eine auf atemberaubendem Niveau! Als Leitstern diente dem Wunderkind Mendelssohn in diesem Fall Mozart, genauer: die "Jupiter"-Sinfonie. Deren Hauptkennzeichen, Gesanglichkeit und gedankliche Durchdringung, setzt er auf ganz persönliche Weise um. Drei Sätze lang bestimmen Melodielinien das Geschehen, bevor das Finale in einer fünfstimmigen Fuge gipfelt.
Barocke Formen mit dem Blick von Heute
Gesang und Fuge - genau daran knüpfen die beiden Widmann-Werke an. In der Aria für Geige, Bratsche und Streicher sind es die beiden Solist*innen, die sich als Sänger*innen auf ihren Instrumenten verstehen, während sich das Orchester in lauter Einzelstimmen auffächert. Und im "Versuch über die Fuge" kommen Gesang und Kontrapunkt schon durch Widmanns Titel- und Besetzungswahl zusammen. Worte aus dem alttestamentarischen Buch der Prediger verschmelzen hier mit Anspielungen auf Beethovens "Große Fuge". Ursprünglich für Streichquartett konzipiert, feierte das Stück 2015 in der erweiterten Fassung Premiere.
Expertin in Sachen Neue Musik: die Sopranistin Sarah Maria Sun
In Hannover übernahm Sarah Maria Sun den Solopart: das "Chamäleon unter den führenden Interpretinnen für zeitgenössische Musik", so der SWR - "experimentierfreudig, unkonventionell und hyperflexibel". Ihr konsequenter Einsatz für Zeitgenössisches brachte Sun jede Menge Kritikerpreise und eine Nominierung zur Sängerin des Jahres ein. Mit dem "Versuch über die Fuge" setzt sich die auf einem Bauernhof aufgewachsene Sopranistin schon seit einigen Jahren auseinander. Und so anspruchsvoll das Stück auch ist, freut sie sich doch jedes Mal darauf. So war es auch dieses Mal: "Widmann denkt als Klarinettist vom Atem her - die Phrasierungen sind organisch und liegen gut in der Kehle."