Schmerz. Schostakowitschs "Leningrader" und Blochs "Schelomo"
In diesem Konzert zum Gedenken an das Ende des 2. Weltkriegs vor 80 Jahren erklingt die Sinfonie Nr. 7 "Leningrader" von Dmitrij Schostakowitsch unter Leitung von Chefdirigent Stanislav Kochanovsky sowie die Hebräische Rhapsodie "Schelomo" für Violoncello und Orchester von Ernest Bloch. Der Solist des Abends ist der weltweit gefragte Cellist Alexey Stadler.
Worte reichen oftmals nicht aus, um der Erfahrung von Gewalt und dem Erleben von Schmerz und Trauer Ausdruck zu verleihen. Musik kann diesem nicht Sagbaren eine Stimme, eine Sprache geben. Den Werken, die bei diesem Gedenkkonzert zur Aufführung kommen, gelingt das auf besondere Weise. Schostakowitschs Siebte Sinfonie - die "Leningrader" - erzählt von den Schrecken des deutschen Überfalls auf die Sowjetunion 1941 und von dem Leid der Menschen während der Belagerung Leningrads, der Heimatstadt des Komponisten. Darüber hinausgehend verstand Schostakowitsch sein Werk als Anklage gegen jegliche Gewalt und Willkür. In Ernest Blochs Rhapsodie "Schelomo" wird das Solocello zur verzweifelt mahnenden Stimme des biblischen Königs Salomo, das Orchester zu seinem vielstimmig antwortenden Volk.
Konzerteinführung
Als kurzweilige Vorbereitung auf die Konzerte empfehlen wir Ihnen die Konzerteinführung "Auftakt mit Edelmann & Cello", um 19 Uhr auf der Bühne des Kuppelsaals.
Jüdisches Erbe
Die hebräische Rhapsodie "Schelomo" ist der letzte und bekannteste Teil von Blochs "Jüdischem Zyklus", fünf Orchesterstücken nach biblischen Themen. Auch wenn der aus Genf stammende Bloch nicht religiös war, fühlte er sich als Jude verpflichtet, dieses Erbe weiterzutragen. "Schelomo" berührt als orientalisch-mosaikartige, dunkel leuchtende Komposition. Bei der NDR Radiophilharmonie schlüpft Cellist Alexey Stadler in die Rolle von König Salomo, der als sprichwörtlicher Prediger in der Wüste versucht, sein Volk auf den richtigen Weg zurückzuführen - dem pessimistischen Schluss nach zu urteilen, wohl vergeblich. Bloch selbst musste 1938 Europa verlassen und fand eine neue Heimat in den USA.
"Ich trauere um alle Gequälten" - Schostakowitschs "Leningrader"
Dass Dmitrij Schostakowitsch seine Sinfonie Nr. 7 unter dem Eindruck der Belagerung Leningrads komponierte und dass sich Leid und Gewalt des Krieges tief in dieses Werk eingeschrieben haben, ist unstrittig. Selten waren Schmerz und Grauen so direkt in Musik zu erleben wie hier. Gegen einseitige Vereinnahmungen dieser großformatigen, opulent besetzten Sinfonie sträubte sich Schostakowitsch allerdings vehement. Seine Siebte – ein Werk voller Ambivalenz und Zwischentöne – komponierte er als Anklage gegen Faschismus und Stalinismus, gegen Gewalt und Diktatur. Etliche Jahre nach der Uraufführung seiner "Leningrader" äußerte sich der von der sowjetischen Obrigkeit oft diffamierte und gelegentlich geehrte Schostakowitsch rückblickend: "Ich empfinde unstillbaren Schmerz um alle, die Hitler umgebracht hat. Aber nicht weniger Schmerz bereitet mir der Gedanke an die auf Stalins Befehl Ermordeten. Ich trauere um alle Gequälten, Gepeinigten, Erschossenen, Verhungerten. Es gab sie in unserem Lande schon zu Millionen, ehe der Krieg gegen Hitler begonnen hatte […]. Ich habe nichts dagegen einzuwenden, dass man die Siebte die 'Leningrader' Symphonie nennt. Aber in ihr geht es nicht um die Blockade. Es geht um Leningrad, das Stalin zugrunde gerichtet hat. Hitler setzte nur den Schlusspunkt."
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