"Jeder von uns muss seinen Rhythmus haben"
Die NDR Radiophilharmonie war gemeinsam mit Sir András Schiff auf Asientournee. In einer Probenpause in Suzhou sprach die Geigerin Sophie Pantzier mit dem Weltklassepianisten.
Sophie Pantzier: Sie spielen das erste Mal mit uns, und wir sind alle sehr erfüllt von ihrem inspirierenden Musizieren, von der Leichtigkeit, mit der Sie sich ausdrücken. Wie empfinden Sie denn die Zusammenarbeit mit uns?
Sir András Schiff: Sehr gut, die neue Begegnung freut mich. Es ist eine sehr schöne Kommunikation und Zusammenarbeit. Sie spielen sehr musikalisch und frisch, deswegen freue ich mich sehr.
Sie scheinen immer mit einem Ohr beim Orchester zu sein, während sie spielen - das ist faszinierend.
Wissen Sie, ich bin immer ein Kammermusiker gewesen. Und ein Klavierkonzert ist auch nichts anderes, besonders diese wunderbaren Stücke von Mozart und Beethoven. Das ist wirklich Kammermusik auf höchstem Niveau. Dort muss man sehr gut aufeinander hören; oft ist sogar das Klavier die sogenannte "Begleitung". Aber ich mag das Wort "Begleitung" nicht, es ist eher eine Partnerschaft, ein Aufeinander-Hören, ein Geben und Nehmen. Niemand ist wichtiger als der andere, so muss eine gute Gesellschaft eigentlich funktionieren.
Sie sind in den letzten Wochen viel auf Tournee gewesen, auch mit der Staatskapelle Dresden und dem Gewandhausorchester Leipzig. Wie schaffen Sie es, mit den regelmäßigen Jetlags, dem ungewohnten Essen und ständigen Klimaveränderungen umzugehen und dann im Moment des Konzertes alles auszublenden, was um Sie herum stattfindet?
Das ist nicht einfach. Auch wenn man schon viele Reisen hinter sich hat, werden diese Sachen nicht leichter. Beispielsweise habe ich gerade jetzt sehr unter dem Jetlag gelitten. Aber man versucht, die Kräfte gut einzuteilen. Jeder von uns muss seinen Rhythmus haben, in der Musik sowieso, aber auch im Leben. Das ist alles sehr individuell, dafür gibt es keine Rezepte. Aus Erfahrung weiß ich, dass ich nicht jeden Tag spielen kann. Ich brauche immer Tage dazwischen, natürlich auch für die Reisen. An einem Reisetag kann sehr viel schief gehen. Deshalb halte ich es für leichtsinnig, nach mehreren Stunden Flug am Abend gleich ein Konzert zu spielen.
Sie sprechen in einem Interview mit der Frankfurter Rundschau davon, dass Sie es wichtig fänden, die Musik der Klassik auf angemessenen Instrumenten in angemessenen Sälen zu spielen, also in den Sälen, für welche die Stücke damals auch geschrieben worden sind. Wie ist das jetzt für Sie, ein Kompromiss oder auch eine Bereicherung - wir spielen ja in den allerneuesten, futuristischsten Sälen auf ganz modernen Steinway-Flügeln?
Das ist schon ein Kompromiss, quasi eine "Übersetzung" in die heutige Zeit. Aber natürlich kann ich in einem Saal mit zweitausend Plätzen nicht auf einem Flügel von Anton Walter aus der Mozart-Zeit spielen. Dann müssten Sie auch im Orchester ganz andere Instrumente nehmen und auf Darmsaiten spielen, die Säle müssten viel kleiner sein - und auch die Zuhörerschaft. Man darf nicht dogmatisch sein, aber es ist gut, wenn man die Erfahrungen gemacht hat: Wie klingt eine Geige mit Darmsaiten, wie klingt ein Hammerflügel, wie ist ein Saal aus dieser Zeit?
Wie verändert sich der Übeprozess, wenn man ein Werk bereits seit vielen Jahren spielt?
Man kann ein Werk viele Jahre spielen, aber man kann es nie gut genug kennen. Das ist wie ein Berg, dessen Gipfel man nie erreicht. Aber das ist schön! Und man übt dann anders, aber es ist nicht schlimm, diese Stücke auch etwas ruhen zu lassen. Manchmal lasse ich sie zwei, drei Jahre ruhen und nehme sie mir wieder vor. Dann sind sie wieder frisch und neu, und ich verstehe sie nach einer solchen Ruhepause immer ein bisschen besser.