Nachgefragt: Augustin Hadelich
Im November 2019 gab Augustin Hadelich, der erste Associate Artist des NDR Elbphilharmonie Orchesters, sein Debüt mit dem NDR EO - das erste Konzert einer künstlerischen Partnerschaft, die sich über drei Spielzeiten erstrecken wird. Julius Heile hat den Geiger mit multinationaler Herkunft befragt.
Herr Hadelich, Sie sind seit dieser Saison Associate Artist des NDR Elbphilharmonie Orchesters. Was bedeutet diese Position für Sie? Und worauf freuen Sie sich besonders?
Augustin Hadelich: Als Associate Artist werde ich die nächsten Spielzeiten regelmäßig mit dem NDR Elbphilharmonie Orchester spielen. Darauf freue ich mich sehr, denn es ist ein fantastisches Orchester und ich habe die Möglichkeit, die Musiker nicht nur besser kennenzulernen, sondern auch unterschiedlichstes Repertoire mit ihnen zu erarbeiten.
Und ich bin sehr gespannt auf den Großen Saal der Elbphilharmonie, von dem ich schon so viel gehört und gelesen habe! Ich spiele auf einer sehr schönen Stradivari von 1723, aber der Saal ist immer wie ein zweites Instrument, das auch sehr viel zum Klang beiträgt.
Und last but not least bin ich glücklich, neue Facetten der Stadt Hamburg, dieses legendären Tors zur Welt, zu entdecken. Ganz besonders freue ich mich auch darauf, Alan Gilbert, den Chefdirigenten des NDR Elbphilharmonie Orchesters, wiederzusehen. Wir spielten zum ersten Mal 2010 miteinander, als ich beim New York Philharmonic Orchestra einsprang, weil der Solist krank geworden war. Seitdem verbindet uns eine tiefe musikalische Freundschaft.
Sie wurden als Sohn deutscher Eltern in Italien geboren und leben heute in Amerika. Welche Rolle spielt Ihre Herkunft für Ihre Identität als Künstler?
Hadelich: Als Kind fühlte ich mich kulturell mehr deutsch als italienisch, und Deutsch ist auch meine Muttersprache. Meine Heimat jedoch war Italien - ich war also quasi deutscher Einwanderer der zweiten Generation. Tatsächlich war ich eine Zeit lang unsicher, wo ich hingehörte. Dann zog ich 2004 nach New York, in diese Stadt voller Menschen mit unterschiedlichsten Wurzeln. New York wurde zu meiner neuen Heimat, und ich fühle mich mittlerweile auch als Amerikaner.
Ich bin also gewissermaßen ein Deutsch-Amerikaner aus Italien. Es ist für einen klassischen Musiker sehr nützlich, Deutsch und Italienisch zu sprechen: Das erleichtert den Zugang zu großen Teilen des Repertoires. Musikalisch fühle ich mich mittlerweile aber auch in ungarischer, spanischer, französischer und finnischer Musik sehr wohl. Ich spreche diese Sprachen zwar nicht, habe mich aber ausführlich mit der Musik dieser Länder befasst.
In Ihrem ersten Konzert mit dem NDR EO spielen Sie das Zweite Violinkonzert von Béla Bartók - übrigens auch das Werk eines Europäers, der in die USA emigrierte. Was verbinden Sie mit diesem Stück? Erinnern Sie sich noch an Ihre erste Begegnung mit dieser Musik?
Hadelich: Bartók gehörte bereits sehr früh zu meinen Lieblingskomponisten, weil ich schon als Kind von der Intensität und dem Farbenreichtum seiner Musik begeistert war. Ich hielt mit acht Jahren zum ersten Mal die Noten des Zweiten Violinkonzerts in den Händen, fing aber erst einige Jahre später an, das Stück zu üben. Das Konzert wurde zum festen Bestandteil meines Repertoires; mit ihm gewann ich auch 2006 den Wettbewerb in Indianapolis.
Bartóks Violinkonzert entstand in den Jahren, in denen sich der Faschismus in Europa ausbreitete. Es war eine düstere Zeit, in der man sich nur schwer eine positive Zukunft vorstellen konnte. Das spiegelt auch die Musik. Bartók schöpft die technischen Möglichkeiten der Geige bis an die Grenzen, bis hin zu Vierteltönen aus. Das macht er aber immer im Dienst der Sache und nicht, um oberflächlich zu beeindrucken. Meiner Meinung nach erhöht das Ringen des Solisten mit diesen technischen Hürden sogar die Intensität der Musik.
Ich bin überzeugt, dass Bartóks Musik, trotz ihrer Emotionalität und geradezu zerreißenden Intensität, immer auch schön klingen sollte. Es gibt in dem Stück viele lyrische Momente, sogar heitere Charaktere unter den Variationen des zweiten Satzes und im wilden Tanz des dritten Satzes.
Für mich sind generell in Bartóks Werken drei wichtige stilistische Einflüsse zu erkennen. Am deutlichsten ist der Einfluss der ungarischen Volksmusik: Selbst in Bartóks abstraktesten Werken kann man immer noch eindeutig ungarische Rhythmen und Figurationen erkennen. Im ersten Thema des Konzerts ist dieser ungarische Einfluss besonders deutlich zu spüren. Zweitens ist Bartók auch stark von den deutschen Meistern beeinflusst: Er konstruiert seine Werke motivisch, das heißt, Chromatik, Figurationen und harmonische Prozesse folgen einer klaren inneren Logik. Das zweite Thema des ersten Satzes ist sogar eine kleine Hommage an Arnold Schönberg, es ist nämlich aus einer Zwölftonreihe gemacht. Der dritte Einfluss ist die französische Musik und der Impressionismus, was sich an den schönen, ungewöhnlichen Klangfarben der herrlichen Instrumentierung erkennen lässt. Selbst nach vielen Jahren entdecke ich in der Partitur dieses Stücks immer noch neue Details!
Die Musik hat Ihr Leben ja ganz generell schon immer geprägt. Wäre für Sie aber auch eine andere berufliche Karriere vorstellbar gewesen? Was hätten Sie gemacht, wenn Sie nicht Geiger geworden wären?
Hadelich: Ich wusste schon sehr früh, dass ich Musiker werden wollte. In der Schule interessierten mich auch andere Fächer, besonders Geschichte und Mathematik, aber ich müsste schon sehr weit zurückdenken, um mich an einen Moment zu erinnern, an dem ich etwas anderes machen wollte (z. B. Astronaut oder Polizist - was man als Kind eben meist aufregend findet). Ich interessierte mich auch für Komposition, spielte als Teenager viel Klavier. Dennoch mochte ich immer schon den singenden Ton der Geige, und irgendwann war klar, dass dies mein Weg sein würde.
Und was machen Sie, wenn Sie einmal nicht mit der Geige beschäftigt sind? Wie entspannen Sie sich, wo tanken Sie auf?
Hadelich: Mein Kopf ist ständig auf Musik fokussiert, und es ist schwer, das auch mal abzustellen. Für mich sind Spiele entspannend und entlastend. Ich treffe mich in New York regelmäßig mit Freunden zum Brettspiel, in dieser Zeit vergesse ich alles andere. Es ist mir auch wichtig, Momente der Stille zu finden. Ich brauche sie, besonders nach Konzerten.
Die Fragen stellte Julius Heile.