Nachgefragt: Felix Kubin
Felix Kubin ist zurück beim neuen werk. Nach seiner Hommage an die Audiokassette "Mein Chromdioxidgedächtnis" vertont er in einer neuen Auftragskomposition des NDR Industrie- und Lehrfilme aus der Zeit von 1960 bis 1990. Kubin versteht sein Werk als Statement zum Wandel der Arbeitswelt - nicht zuletzt der höchst eigenen Arbeit als Komponist. Das Werk wird am 30. April - einen Tag vor dem Tag der Arbeit - im resonanzraum St. Pauli im Bunker Feldstraße uraufgeführt.
Herr Kubin, "Takt der Arbeit" heißt das neue Projekt, das Sie zur Zeit für ein Konzert innerhalb der Reihe NDR das neue werk erarbeiten. Worum geht es?
Felix Kubin: Der ursprüngliche Vorschlag war, eine Filmvertonung zu machen. Da mich die ganzen Standards à la Fritz Lang und Eisenstein wenig interessierten, habe ich mir überlegt, dass es viel spannender sein könnte, funktionale Filme zu vertonen, die nur zu Schul- oder Industriezwecken produziert wurden. Also habe ich mich ins Archiv des Metropolis-Kinos begeben und mir tagelang solche Filme angeschaut.
Ziemlich schnell kristallisierte sich dann heraus, dass es um das Thema Arbeit gehen wird. Unser Begriff von Arbeit hat sich in den letzten 15 Jahren so radikal verändert, dass es sich lohnt, einen Blick zurück auf das 20. Jahrhundert zu werfen. In dieser Zeit war Arbeit noch vom Privatleben getrennt. Die Filme, die ich ausgesucht habe, spannen einen weiten Bogen: vom Stapellauf eines Schiffs in Polen über chinesische Kampftechniken bis zur Sinfonie aus Büroapparaten. Nicht immer geht es vordergründig um Fließband und Maschine, sondern auch um Subtexte der Arbeit: Selbstoptimierung, Burn-out, das Diktat der Zeit.
Sie haben ein Ensemble von Musikern aus Polen um sich versammelt - wer ist an diesem Abend alles beteiligt, und wie kommt es zu dieser Zusammenarbeit?
Kubin: Meine Kollaborateure sind alle Schlagzeuger aus der jungen Warschauer Szene: Miłosz Pękala, Magdalena Koldylasińska und Hubert Zemler. Was diese Szene auszeichnet, ist ihre große Offenheit und Experimentierfreudigkeit. Die Musiker sind technisch unglaublich gut, fast alle haben Erfahrung als Jazz- und Improvisationsmusiker, aber das steht nie im Vordergrund. Sie grenzen sich gegen nichts ab, begeistern sich sowohl für extrem schwierige zeitgenössische Stücke als auch Pop, Elektronik oder Punkmusik.
"Takt der Arbeit" ist nicht Ihr erstes Projekt, in dem Video und Film eine große Rolle spielen. Was ist das Besondere, wenn Musik und Film zusammentreffen - denn eine lineare "Vertonung" der Bilder ist ja sicher nicht gemeint?
Kubin: Eine Voraussetzung für gute Filmmusik ist, dass sie als unabhängiger "Akteur" verstanden wird. Sie sollte eine weitere Bedeutungsebene schaffen, neue Lesarten des Films aufwerfen. Das geht auch, wenn sie nur aus einem Ton besteht, wie beispielsweise in dem Film "Invocation of my Demon Brother" von Kenneth Anger. Die Hauptsache ist, dass sich die Musik mit dem Film zu einem neuen Amalgam verbindet.
Für mich war wichtig, dass ich alle Filme in einem aufwendigen Sichtungsverfahren selbst ausgewählt habe. Und zwar sowohl nach Inhalt und Ästhetik als auch nach ihrer Eignung zur Vertonung. Grundsätzlich entwickelt Filmmusik ihre eigene Dynamik. Es macht keinen Spaß, Musik total gegen das Bild zu bürsten. Viele Sachen, die man sich theoretisch überlegt, funktionieren dann einfach nicht. Die Kunst besteht in der Umdeutung oder Verstärkung des Bildes, der Verstärkung eines Subtextes zum Beispiel, oder der politischen Umstände, unter denen ein Film entstanden ist.
Hat einer der Filme einen Bezug zur Arbeitswelt Hamburgs?
Kubin: Es gibt zwei Hafenfilme, einen aus Hamburg, einen aus Polen, in denen es um den Stapellauf eines Schiffs geht. Als ich die beiden ästhetisch sehr unterschiedlichen Filme gesichtet habe, fiel mir auf, dass sie fast die gleiche Länge besitzen. Diese Filme werden nun in Doppelprojektion gezeigt, was auch einen schönen Blick auf das alte Ost-West-Thema wirft.
Ein anderer Film mit Hamburg-Bezug ist Rolf Liebermanns Musik für Büromaschinen. Liebermann war lange Zeit Leiter der Hamburgischen Staatsoper, das NDR Studio 10 wurde nach ihm benannt. Er war ein politischer Mensch, und als man ihn 1963 bat, ein Stück für die Schweizer Landesausstellung anlässlich des Pavillon-Neubaus für den Außenhandel, die Banken, Versicherungen und den Verkehr zu schreiben, war ihm das eigentlich zuwider. Eher aus Jux, und um die Diskussion zu beenden, schlug er dann vor, die Büromaschinen für sich selbst sprechen zu lassen. So entstand seine Komposition "Les Échanges", bei der 156 Büromaschinen per Lochkarte angesteuert werden und rhythmisch vor sich hinrattern. Ich dachte mir, dass dieses Stück sehr gut zur bilanzfixierten Hamburger Kaufmannstradition passt, es müsste allerdings mit aktuellen Büroklängen auf den neusten Stand gebracht werden. Wir haben uns also von Herrn Liebermann inspirieren lassen und ein ganz neues Stück, quasi in seinem Sinne, komponiert.
Auch das ist für mich übrigens ein Kommentar zu einer neuen Arbeitshaltung: die Art der kollektiven Entwicklung eines Stücks. Zwar kamen die Grundvorgaben von mir - Samples, Strukturen, musikalische Direktiven -, aber ich probiere lieber verschiedene Dinge aus, improvisiere mit den Musikern, höre auf ihre Vorschläge und mache sie zu Mitverschwörern und Mitgestaltern der Komposition. Die Zeit, in der der geniale Meister seine fertigen Noten aufs Pult knallt und sich dann in die letzte Reihe setzt, gehört der Vergangenheit an.
Die Fragen stellte Dr. Richard Armbruster