Stand: 21.10.2015 10:00 Uhr

Abgesang eines Königs?

Porträt von Christophe Rousset © Eric Larrayadieu
Christophe Rousset, 1961 in Avignon geboren, begeisterte sich bereits mit 13 Jahren für das Cembalo.

Er ist Spezialist für Kammermusik und die historische Aufführungspraxis. Mit seinem Ensemble Les Talens Lyriques widmet sich der französische Cembalist Christophe Rousset am 3. November in Hamburg einem ganz besonderen Musikliebhaber: König Louis XIV. Was die Musik, mit der sich der Sonnenkönig ständig umgab, so besonders macht, verrät der Musiker und Dirigent vorab im Interview.

Die klein besetzten Kammerkonzerte, Trio-Stücke und Kantaten, die Sie für Ihr Programm bei NDR Das Alte Werk auswählten, wurden für die Abendunterhaltung im Appartement des Königs in Versailles geschaffen. Wie muss man sich die kulturelle Atmosphäre in diesem erlauchten Kreis um Ludwig XIV. vorstellen?

Christophe Rousset: Das kulturelle Niveau am Hof Ludwigs XIV. war sehr hoch. Der König traf die Auswahl seiner Musiker höchstpersönlich. Überall war Musik - in der Kapelle, draußen und drinnen, im Schloss von Versailles. Couperin beschreibt die Sonntagskonzerte, bei denen er seine 'Concerts Royaux' präsentierte, als sehr intim. Natürlich war Madame de Maintenon auch anwesend, des Königs Gemahlin 'zur linken Hand'. Sie kannte Clérambault sehr gut, der so einige religiöse Stücke für ihr Umfeld komponierte.

Die Komponistin und Cembalistin Élisabeth Jacquet de La Guerre widmete ihr gesamtes Werk dem König - und enthüllte so ihre besondere Beziehung.

Die ausgewählten Stücke stammen aus den letzten beiden Jahrzehnten von Ludwigs Ära. Da ist er längst nicht mehr der partyfreudige, prunkliebende Sonnenkönig und begeisterte Tänzer, sondern ein gebrechlicher Greis, den seine sittenstrenge Gemahlin Madame de Maintenon im Rollstuhl umherfährt. Was fasziniert Sie gerade an der Musik dieser Spätphase?

Rousset: Der König war viel weniger präsent. Er war alt, krank, besiegt im Spanischen Erbfolgekrieg. Er hatte seinen Enkel verloren, den Herzog von Burgund, der sein Thronerbe hätte werden sollen. Das machte Ludwig XV. (seinen Urenkel) sehr jung zum Nachfolger - ebenso jung, wie Ludwig XIV. selbst auf den Thron gekommen war.

Das Bild des Sonnenkönigs war nicht mehr so strahlend, was auch die Kunst weniger heldenhaft werden ließ. Das Private nahm mehr Raum ein - alles wurde kleiner in der Kunst, die Architektur weniger üppig, die Deckenhöhe geringer, die Möbel zierlicher. Gemälde, in denen die Künstler wie Watteau ihr Selbstgefühl ausdrückten, tauchten auf.

Diese neue Strömung zeigte sich deutlich in der Beliebtheit der Kammerkantate und einem persönlicheren Ausdruck in der Musik, wie bei dem sentimentalen Couperin. Sie bereitete den Weg für virtuose Schulen wie Rameau, Leclair, Blavet: Das Individuum wird zur zentralen Figur - und nicht mehr der König und die formale Kunst, wie bei Lully oder Lebrun.

Die französische Musik dieser Epoche hat viele unausgesprochene Regeln und Geheimnisse. Sie erscheint einfach, doch über jeder zweiten Note steht eine Verzierung, und Rhythmen werden anders ausgeführt, als sie auf dem Papier stehen. Wie nähern Sie sich als Interpret dem Geist dieser Epoche und ihrer Musik an?

Rousset: Als Musiker muss man sich ein großes Wissen aneignen - Schriften, Repertoire, Ästhetik dieser Zeit. Die Aufführungspraxis ist sehr gut dokumentiert, vielleicht sogar mehr als in Italien oder Deutschland, weil man in Frankreich gern Ein-, Anleitungen und Methoden schrieb. Couperin schrieb viel, Hotteterre ebenso, und Rameau wird mehr geschrieben haben als alle anderen Musiker.

Diese Musik ist sehr filigran - wie die französische Kunst überhaupt. Sie ist immer im Bezug zu sehen zur französischen Sprache und ... zu guten Manieren!

Mit "Léandre et Héro" und "Le Sommeil d'Ulisse" stehen zwei "Cantates françoises" auf dem Programm. Was machte die Besonderheit dieser französischen Kammerkantaten aus, und worin unterscheiden sie sich musikalisch von den Kammerkantaten, die zur gleichen Zeit etwa in Rom geschrieben wurden?

Rousset: Tatsächlich kommt die französische Kammerkantate gänzlich aus Italien. Diese italienischen Vorläufer waren bekannt in Frankreich, einige Übersetzungen italienischer Texte wurden von französischen Komponisten benutzt. Montéclair komponierte sogar Kantaten nach italienischen Texten. Sie unterscheiden sich nicht wesentlich von ihrem italienischen Vorbild, nur die Erzählung ist etwas mehr ausgearbeitet, wie in der französischen 'tragédie lyrique', mehr Harmonie, ständiger Wechsel des Metrums entsprechend dem Rhythmus der Sprache. Die Arien sind alle Da-capo-Arien - gelegentlich zu lang! Merkwürdigerweise beeinflusste diese Mode der Kammerkantate auch die französische Oper - die die Da-capo-Form auf die Bühne brachte.

Reizvoll an diesen französischen Kantaten sind die Sujets - meistens mythologisch, auf Anekdoten basierend, wie Hero und Leander. Die Verbindung zur Malerei ist sehr stark: Nymphen und Satyrn - aber vor allem eine Empfindsamkeit für das Private, Intime, den Genuss im kleinen Kreise, für Liebhaber.

Das Interview führte Ilja Stephan.

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