Stand: 02.04.2015 13:54 Uhr

Nachgefragt: Gunar Letzbor

Gunar Letzbor © Simone Bartoli Foto: Simone Bartoli
Er studierte Komposition, Dirigieren und Violine: Gunar Letzbor.

Gunar Letzbor, hat sich seit vielen Jahren mit dem Schaffen des 1644 in Böhmen geborenen Salzburger Hofkapellmeisters Heinrich Ignaz Franz Biber befasst und mit seiner Deutung der "Rosenkranz-Sonaten" Maßstäbe gesetzt. Am 29. April präsentiert der Geiger das berühmte Werk mit seinem Barock-Ensemble Ars Antiqua Austria in Hamburg. Was österreichischen Barockstreicherklang ausmacht und wie Letzbor persönlich mit den Mysterien von Bibers "Rosenkranz-Sonaten" umgeht, verrät er uns vorab in einem Gespräch.

In Ihrer Biografie heißt es, Sie würden mit Ihrem Ensemble Ars Antiqua Austria an der Realisierung eines "spezifisch österreichischen Barockstreicherklanges" arbeiten. Was zeichnet einen solchen Klang aus?

Gunar Letzbor: Wenn man davon ausgeht, dass die Kultur in den Habsburgerlanden hauptsächlich vom Kaiserhof bestimmt wurde, muss man die Verhältnisse dort betrachten. Musik war in Wien während der Barockzeit eine Angelegenheit, die direkt vom Kaiser bestimmt und auch kontrolliert wurde. Vier österreichische Kaiser in Folge waren ausgebildete Musiker, die gelegentlich sogar die Hofkapelle leiteten und teilweise auch komponierten. Musik war staatstragend. Man signalisierte mit aufwendigsten Opernproduktionen finanzielle Überlegenheit und Führungsanspruch in Europa. Die Botschaft: Greift uns nicht an! Wenn wir solche gigantischen Aufführungen finanzieren können, welche Mittel haben wir dann für unsere militärischen Interessen zur Verfügung!

Es entstand in Wien also ein Imperialstil, der sich durch üppige Besetzungen und Möglichkeiten zu größter Klangfülle auszeichnete. Um die Jahrhundertwende wurden sogar Opern für zwei getrennt aufgestellte Orchester komponiert. Der Geigenbau war durchaus selbständig von Italien und orientierte sich an Modellen mit hoher Wölbung, wie sie Stainer und die Füssener Schule verwendeten. Geigen und Bratschen wurden in verschiedensten Größen gebaut, je nach ihrer klanglichen Funktion.

Die Fünfstimmigkeit hielt sich in Österreich noch lange, wo im übrigen Europa schon längst vierstimmig oder gar dreistimmig komponiert wurde. Erste Kontrabässe wurden schon vor der Jahrhundertwende in die Hofkapelle integriert. Der Klang der hochgewölbten Instrumente betont eher die dunklen, sonoren und grundtönigen Klangfarben und unterscheidet sich damit von den flacheren Typen des modernen italienischen Geigenbaus. Durch den Einfluss der Gebrauchsmusik östlicher Kulturkreise mit der Betonung des virtuosen Elementes wurde in Österreich auch bald die Kunstmusik mit virtuosen Elementen durchsetzt. Daneben steht die intensive Beschäftigung mit unterschiedlichsten Klangfarben.

Bibers Rosenkranz-Sonaten machen ausgiebigen Gebrauch von der so genannten Skordatur, das heißt die Saiten der Geigen werden umgestimmt. Jede der 15 Sonaten hat ihre eigene Stimmung. Welchen musikalischen Sinn hat diese Skordatur?

Letzbor: Auch die Skordatur hat den Sinn, klangliche Charakteristika in der Musik zu erweitern. Jeder Skordatur gibt einer Musik einen spezifischen Klang, der ohne dieses Kunstmittel nicht erreichbar wäre.

Wie realisieren Sie die verschiedenen Stimmungen im Konzert? Stimmen Sie zwischen den Stücken um, oder haben Sie gleich mehrere Geigen dabei?

Letzbor: Ich habe meistens drei oder vier Geigen in Verwendung und stimme diese während des Konzertes um. Mit etwas Erfahrung funktioniert das ganz gut. Man muss aber anmerken, dass die Rosenkranz-Sonaten nicht für eine moderne Konzertaufführung gedacht waren. Man musizierte wahrscheinlich zu einzelnen spezifischen Anlässen eine Sonate. Da konnte man dann eine Geige entsprechend vorbereiten. Eigentlich braucht sie einige Tage, damit sie die neue Stimmung hält und wirklich voll durchschwingt. Es handelt sich also bei modernen Aufführungen um einen Kompromiss, der wirklich einige Erfahrung mit dieser Situation vom Künstler verlangt.

Zu den "Mysterien" von Bibers Rosenkranz-Sonaten zählt, dass Notentext und klangliches Ergebnis nicht übereinstimmen. In den Noten steht etwas anderes, als auf der umgestimmten Violine dann tatsächlich erklingt. Wie geht man als Interpret damit um?

Für mich ist das ein besonderer Hintergedanke Bibers. Durch dieses Kunstmittel ist der interpretatorische Wille des Künstlers eher intuitiv wirksam. Die kognitiven Eingriffe werden eher behindert und man muss sich als Künstler auf das einlassen, was im Augenblick entsteht und darauf reagieren. Auch nach vielen Wiederholungen erkennt man im Notenbild nur schwer den kommenden Realklang und kann daher nicht "vorhören". Mystische Erscheinungen verlangen das Einlassen auf nicht erklärbare und nicht beeinflussbare Situationen, die affektiv und phantasiebetont aber auch vor allem demütig erlebt werden wollen.

Das Interview führte Dr. Ilja Stephan

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