"Tratsch im Treppenhaus"
Ob sie wohl von dieser sehr speziellen Ehrung noch erfahren hat? Auch Heidi Kabel, die im Juni 2010 im 95. Lebensjahr verstorbene Ur-Hamburgerin mit der lebenslangen Bindung ans Ohnsorg-Theater, ist ja einer der virtuellen Gäste jenes skurrilen Projektes, das das "Nubox"-Trio und der Posaunist und Arrangeur Ed Partyka vor zwei Jahren für die NDR Bigband kreiert haben: "Tratsch im Treppenhaus".
Plaudertasche und Quengelstrippe
Im gleichnamigen Ohnsorg- Klassiker, aufgezeichnet 1966 vom NDR Fernsehen in Schwarz-Weiß, spielt Heidi Kabel als Scheuerfrau Boldt die Plaudertasche vom Dienst - und bringt im engen Mietshaus alle gegeneinander auf, vor allem Herrn Brummer, der nicht umsonst so heißt - ein einsamer, immer "vergnatterter" Rentner mit starkem Interesse an Frau Knopp von gegenüber. Brummer ist eine der Meisterrollen des langjährigen Ohnsorg-Stars Henry Vahl, der schon 1977 starb. Seine unverwechselbar nölige, quengelnde Stimme ist postum die Haupt-Attraktion beim Bigband-"Tratsch im Treppenhaus".
Sowohl Vahls als auch Kabels Mono- und Dialoge haben Bassist Aloys Kott und Schlagzeuger Peter Eisold vom "Nubox"-Trio gemeinsam mit Partyka auf ihre Musikalität hin geprüft. Und prompt erwiesen sich viele Passagen aus Jens Exlers Text quasi als "lyrics" - soll heißen: Tempo und Timing von Kabel oder Vahl "passen" zuweilen akkurat zu "licks" und "riffs" in den "Nubox"-Kompositionen wie bei den Solisten der NDR Bigband und dem Ensemble insgesamt.
Sound-Collage mit Texten
Bigband Trompeter Reiner Winterschladen arbeitet seit langem mit Eisold und Kott unter dem "Nubox"-Label zusammen. Jetzt spielt das Trio die Hauptrolle in dieser Theater-trifft- Jazz-Begegnung. Die drei Musiker setzen gemeinsam mit DJ Vincet von Schlippenbach, hier eigentlich besser VJ - "Voice Jockey", die thematischen Klammern, die Verbindungen und Übergänge zwischen Text und Sound. Und plötzlich wird ein einziges Vahl- oder Kabel- Wort, zielstrebig gedehnt, zur Grundstimmung eines ganzen Bigband-Arrangements.
Erst beim Blick in die DVDs der Ohnsorg-Stücke übrigens wird klar, wie filigran die Vahl- und Kabel-Forscher dabei vorgegangen sind. Die Schnipsel von Heidi und Henry ergeben sogar prächtige Titel: "Dösbaddel" oder "Miesepeter", "Kaninchenglück" und "Dudelkasten".
Und es kommt dem ruppig-frechen Hin und Her zwischen Text und Ton entgegen, dass es beim Ohnsorg-"Tratsch" auch um Lärm im Treppenhaus geht - und dass Scheuerfrau Boldt sich über die Musik beim Silvester-Ball beklagt. Da sei kaum zu unterscheiden gewesen, ob gerade die Band spielte oder der Kellner das Tablett fallen ließ.
Hier aber spielt die Band, sie zieht geradezu vom Leder, satt von Funk und Rock - und mittendrin zetern die Fernsehstars von anno dazumal.