"Ein innerer Drang, immer weiter zu forschen"
Florian Weber ist ein herausragender Pianist und Komponist, der seine Vielseitigkeit immer wieder in genreübergreifenden Projekten unter Beweis stellt und mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet wurde.
Sie stammen aus einer klassischen Musikerfamilie: Ihre Mutter war Opernsängerin, Ihr Vater Musikprofessor, Sie selbst haben früh Klavierunterricht bekommen. Stimmt es, dass Sie Ihre Mutter schon mit sieben Jahren am Klavier begleitet haben?
Florian Weber: Das stimmt - und interessanterweise waren das die ersten Improvisationen am Instrument. Denn weil ich damals die Noten gar nicht so vom Blatt spielen konnte, habe ich quasi aus der Not eine Tugend gemacht und zunächst nur die Bassstimme gespielt, um dann nach und nach den Rest dazuzuerfinden.
Damals wusste ich natürlich noch nicht, dass das "Improvisation" heißt und ein Wesensmerkmal des Jazz ist. Das Interessante ist, dass ich heute eigentlich wieder dazu zurückkehre, in diese "klassische" Improvisation, also unabhängig von einem bestimmten Stil, sondern lediglich auf Grundlage des nächsten Tons.
Obwohl die Musik also früh in Ihrem Leben war, haben Sie sich nach dem Abitur zunächst für ein Mathematik-Studium entschieden. Warum?
Weber: Ich konnte mir damals nicht vorstellen, was es heißt, Musik zu studieren. Meine Eltern hatten mir stark davon abgeraten, weil sie selbst auch die Schattenseiten des Berufs kennengelernt hatten. Es war aber definitiv auch eine Wahl aus Leidenschaft: Ich hatte in der Schule sowohl Musik als auch Mathematik als Leistungskurse ganz bewusst gewählt.
Ich glaube, es gibt da auch starke Parallelen, alleine schon in der Grundeinstellung, Dingen auf den Grund gehen zu wollen. Das Gefühl, als Musiker dem unendlichen Mysterium der Musik menschliche Wahrheiten entringen zu wollen, ist dem Suchen nach Axiomen oder bestimmten Grundannahmen in der Mathematik sehr ähnlich, finde ich. Mein innerer Drang, immer weiter in die Tiefe forschen zu wollen, verbindet mich mit beiden Feldern.
Und was hat schließlich dazu geführt, dass Sie dann doch noch ein Musik-Studium begonnen und sich für eine Laufbahn als Musiker entschieden haben?
Weber: Das war wirklich zwingend. Es gibt diesen Moment, von dem meine Mutter immer gerne erzählt - der mir ein bisschen peinlich ist, den ich aber trotzdem verrate: Da stand ich weinend vor ihr und sagte, "Ich muss Musik studieren, ich kann die Entscheidung nicht anders treffen." Das war so ein starker Impuls, dem konnte ich mich nicht widersetzen. Ich hatte ja auch neben dem Mathematik-Studium immer weiter Musik gemacht und dabei gemerkt, welches Glücksgefühl, welche Leidenschaft und auch welche innere Ruhe das in mir auslöst - sodass alles andere immer unbedeutender wurde.
Als Musiker zeichnen Sie sich unter anderem durch eine große Vielseitigkeit aus, die die langjährige Zusammenarbeit mit Saxofon-Legende Lee Konitz oder mit dem Ausnahme-Trompeter Markus Stockhausen ebenso mit einschließt wie Projekte mit dem Rapper Samy Deluxe oder das Spielen rein klassischer Konzerte. Welchen "Forschungsthemen" gilt Ihr aktuelles Interesse?
Weber: Etwas, das mich in den letzten Jahren sehr beschäftigt hat, ist das Thema "Klang". Also, einen Klang finden, ihn spielen und dann warten, was er mir zurück gibt. Ganz praktisch auch an der Tastatur des Flügels: Wenn ich die Tasten runter drücke, dann schwingen sie - ganz, ganz leicht, aber man kann es spüren. Und diese Schwingung ist direkt an den Klang gekoppelt.
Das noch weiter und immer mehr zu erspüren und daraus auch den nächsten Ton, den nächsten Klang zu entwickeln - das ist so ein Prozess der letzten Jahre gewesen. Und dabei merke ich, dass ich neben meiner ständigen Neugier, die mich antreibt, nun auch immer mehr Geduld aufbringe, die Klänge zu mir kommen zu lassen.
Bevor Sie festes Mitglied der NDR Bigband wurden, waren Sie dort bereits einige Jahre ein regelmäßiger und gern gesehener Gast. Was schätzen Sie an der Arbeit mit der NDR Bigband besonders?
Weber: Die Musik, die hier gespielt wird, ist - im Gegensatz zu eigentlich allen anderen Radio-Big-Bands in Deutschland, die ich im Laufe der Jahre kennengelernt habe - sehr aktuell und bringt sehr viele Freiheiten mit sich. Gerade auch für das Klavier bietet sie sehr viele Improvisationsmöglichkeiten. Damit entspricht sie genau dem, womit ich mich gerne beschäftige.
Darüber hinaus freue ich mich auf die Zusammenarbeit sowohl mit spannenden internationalen Gästen, als auch generell mit der Band. Ich wurde mit offenen Armen empfangen, und es passt auch menschlich einfach wahnsinnig gut.
Das Interview führte Jessica Schlage. (2021)