Spinning the Wheeler: Norma Winstone & Dave Holland
Am 21. Juni 2026 leben im Großen Saal der Elbphilharmonie die Stücke eines ganz Großen aus der Jazzmusik wieder auf: Weggefährten von Kenny Wheeler spielen seine Stücke unter der Leitung von Nikki Iles.
Lyrischer Melancholiker: Kenny Wheeler
Er war einer der Stilleren, aber umso Wirkungsmächtigeren im Jazz, der kanadische Trompeter und Komponist Kenny Wheeler (1930 bis 2014). Seine Übersiedlung nach Großbritannien 1952 war, was man heute ein "Match" nennen würde, ein glückliches und folgenreiches Aufeinandertreffen. Ein lyrischer Melancholiker ("Traurige Musik macht mich glücklich") traf auf den brettharten Sound und den breiten Rhythmus nord-englischer Blechkapellen und mischte daraus mit unbändigem Freiheitswillen einige der wichtigsten und einflussreichsten Großensemble-Aufnahmen der letzten 60 Jahre.
"Das freie Material entspannt mein konventionelles Spiel, und das konventionelle Spiel gibt meinem freien Solospiel Form", sagte Wheeler einmal. Duke Ellington, Gil Evans und Stan Kenton gab er als Einflüsse ein, der klassische Komponist Paul Hindemith war ein weiterer. Was aber Wheeler durch all sein Tun trug, ob Free oder Fusion, war die Melodie, Kern seiner Kompositionen und Wegweiser durch ihre harmonische und rhythmische Gestaltung.
Jazz-Influencer von der Insel
Britische Jazzmusiker:innen mussten schon seit jeher viel Funktions-, Unterhaltungs- und Theatermusik zum Lebensunterhalt spielen; selbst Kenny Wheeler habe Musik für Kinder-Commercials geschrieben, weiß die Arrangeurin und Dirigentin des Konzerts, Nikki Iles. Wenn man sich aber für Jazz traf, dann sei das freie Spielen mit dem Vielen eine glückbringende Erfahrung gewesen. Vielleicht auch, weil kein kommerzielles Muss, sondern ein künstlerisches Kann der Kern gewesen sei, habe viel von Wheelers Musik, vor allem seine früheren Werke, die Insel nicht verlassen, auch wenn sein Einfluss selbst bei US-Bigband-Koryphäen wie Bob Brookmeyer und Maria Schneider oder Wheelers kanadischen Jazz-Schwestern Ingrid und Christine Jensen hörbar ist.
Hochkarätige Besetzung: Winstone, Holland & Ives
Das vierte Abo-Konzert der NDR Bigband bietet die Gelegenheit, ein Original in einer ebenso originellen wie originalen Interpretation durch einige seiner Weggefährten kennen zu lernen: Mit der 84-jährigen legendären Sängerin Norma Winstone, die auch neue Texte zu Wheeler-Titeln beisteuert, hat die NDR Bigband schon einige Male gespielt, mit dem Bassisten und Miles Davis-Weggefährten Dave Holland freuen wir uns auf einen der größten britischen Jazznamen überhaupt, und auch Nikki Iles hat Wheeler aus nächster Nähe erlebt. "Spinning the Wheeler" - in diesem Konzert spinnen alle Beteiligte ihre Erfahrungen mit einem genialen Musiker weiter, aus erster Hand, aber in eigener Weise, ganz so, wie es das Perpetuum Mobile des Jazz am Leben hält.
Autor: Henry Altmann
