"So eine Gelegenheit kommt nur einmal"
Posaunist Klaus Heidenreich verrät im Interview, wie er ein Mitglied der NDR Bigband wurde und wie wichtig die zwischenmenschliche Komponente bei der Arbeit im Ensemble ist.
Das Angebot zur Festanstellung bei der NDR Bigband kam bei Ihnen mitten im Studium. Zu einem Zeitpunkt also, an dem man üblicherweise gerade erst damit anfängt, sich beruflich zu orientieren. Haben Sie lange überlegt, ob Sie zusagen?
Klaus Heidenreich: Nein, da musste ich nicht lange überlegen. Bestimmte Gelegenheiten bekommt man vielleicht nur einmal im Leben - und das ist so eine. Natürlich hätte es auch Vorteile gehabt, sich vor einer Festanstellung erst noch einige Jahre als freier Musiker auszutoben. Aber diese Erfahrungen habe ich mir auf andere Art und Weise ermöglicht: Trotz des Jobs in der NDR Bigband habe ich mein Studium zu Ende gebracht und bin danach noch viele Jahre zwischen Hamburg und Köln gependelt, um meine Bands dort weiterzuentwickeln.
Das wird hier auch unterstützt: Man kann sich zu bestimmten Zeiten in der NDR Bigband vertreten lassen, um andere Projekte zu realisieren. Das nutzen fast alle Musiker bei uns, denn dadurch bringt man auch wieder eine gute und frische Energie in die Arbeit hier mit rein. Davon profitieren am Ende alle!
Als Sie damals ihre Stelle begonnen haben, waren Sie Berufsanfänger und im Schnitt rund 20 Jahre jünger als die anderen Musiker. Was hat sich in den gut zehn Jahren seit ihrem Einstieg geändert?
Heidenreich: Was bestimmt einen großen Unterschied macht, ist, dass ich nicht mehr Mitte 20 bin, sondern Mitte 30 - und mich nicht mehr so als "der Junge" in der Band fühle. Auch wenn der Altersabstand zu den anderen Bandmitgliedern ja logischerweise gleich geblieben ist. Aber es geht gar nicht um das reale Alter. Durch die gewonnene Erfahrung hat sich einfach mein Selbstverständnis geändert.
Und das entlastet! Obwohl ich gar nicht sagen könnte, dass ich das vorher bewusst als Last wahrgenommen hätte, weil ich mich in der Band von Anfang an sehr wohl gefühlt habe. Inzwischen habe ich eben viele Tourneen mitgemacht, alle möglichen Arten von Konzerten gespielt, war für eine ganze Produktion als Solist vor der Band ... also ich habe vieles schon erlebt - und trotzdem wird es nicht langweilig!
Sie sprechen es gerade an: Die Produktion, bei der Sie als Solist im Mittelpunkt standen, war eine Zusammenarbeit der NDR Bigband mit Ihrem Klaus Heidenreich Quartett. Das Ergebnis ist als gemeinsames Album "Perceptions" erschienen. Wie war diese Erfahrung für Sie?
Heidenreich: Das war in erster Linie sehr aufregend! Im Vorfeld stand ich in Kontakt mit dem US-amerikanischen Musiker Tim Hagans, der meine Stücke für diese Besetzung arrangiert und bearbeitet hat. Denn wenn man als Jazz-Musiker ein Stück für die eigene Band schreibt, dann besteht das vielleicht aus ein bis drei Seiten mit den wichtigsten Informationen, die oft nur als Skizze für das gemeinsame Musizieren verwendet werden. Die habe ich ihm nach New York geschickt und nach einigen Monaten auf einmal ganze Partituren und Midi-Files zurück bekommen - schon das war wahnsinnig spannend, zu sehen und hören was er daraus gemacht hat!
Beim gemeinsamen Konzert natürlich erst recht, da fühlt man sich sowohl dem eigenen Quartett verantwortlich, als auch den Kollegen beim NDR und hofft, dass alle zufrieden sind! Wenn dann alles klappt und tolle Musik dabei herauskommt - das ist natürlich wahnsinnig toll. Und genau so war es am Ende!
Die Gefühle von Verantwortung und Verbundenheit spielen doch in so einem Bandgefüge bestimmt ohnehin eine besondere Rolle. Alleine innerhalb der Posaunenstimmen - entwickelt man da irgendwann besonders ausgeprägte Fähigkeiten der wortlosen Abstimmung untereinander?
Heidenreich: Ja. Ich glaube schon, dass ich zumindest in der Lage bin, relativ schnell zu spüren, welche musikalischen Energien da jeweils von den Musikern kommen - und das geht den anderen bestimmt genauso. Es ist schon so: Wenn man über Jahre hinweg in so einer Posaunengruppe zusammenspielt, wird man natürlich sehr empathisch.
Das merkt man auch dann, wenn mal jemand nicht da ist, weil er krank ist oder ein anderes Projekt hat. Für solche Fälle haben wir sehr gute Posaunenaushilfen, die wir oft auch schon lange kennen. Trotzdem ist es in der Regel so, dass bei den Proben dann alles einen Tick länger dauert. Das liegt gar nicht an den Aushilfen selbst, sondern daran, dass man aus dem Vertrauten ausbricht und sich erst wieder neu finden muss.
Wie wichtig ist überhaupt die zwischenmenschliche Komponente?
Heidenreich: Die ist extrem wichtig - und eigentlich Grundvoraussetzung für gutes Musizieren. Denn man gibt mehr von sich preis, als nur die Noten, die man auf seinem Instrument spielt. Wir alle wollen mit großem emotionalen Engagement miteinander Musik machen und das in einer Band, die die Größe einer kleinen Schulklasse hat. Da ist man darauf angewiesen, dass man gut miteinander auskommt. Wenn das nicht der Fall wäre, hätte es auf jeden Fall auch Auswirkungen auf die Musik.
Man spürt auch richtig, wenn zum Beispiel ein Projekt gespielt wird, das von vielen Bandmitgliedern besonders gemocht wird: Dann steht vielleicht einer auf und spielt ein ganz besonders tolles Solo, das dann wiederum alle anderen noch mehr mitreißt. Solche Momente tauchen bei uns immer wieder auf - und das ist wichtig.
Das Interview führte Jessica Schlage (2019).