Dan Gottshall: "Im Konzert wird die Musik lebendig"
Dan Gottshall war als Jugendlicher schon verrückt nach Bigband. Als Lead-Posaunist der NDR Bigband schätzt er aber auch die Möglichkeit, sich außerdem solistisch zu zeigen.
Sie spielen in der NDR Bigband die "Lead-Posaune". Was bedeutet das eigentlich?
Dan Gottshall: Die Lead-Posaune ist die "erste Posaune", sie spielt die höchste Stimme und gibt dadurch im gesamten Posaunen-Satz quasi den Ton an. Das heißt: Wie ich phrasiere, ob ich etwas kürzer oder länger spiele, ein Glissando oder bestimmte andere Verzierungen benutze - damit beeinflusse ich den Klang des ganzen Satzes. Wenn man das militärisch sehen würde, bestimme ich also, wo’s langgeht. Aber in der Praxis höre ich natürlich auch links und rechts, und wenn jemand etwas spielt, bei dem ich denke "Oh, das klingt besser!" verändere ich mein Spiel entsprechend.
War es als Posaunist schon immer ein Traum von Ihnen, in einer Bigband zu spielen?
Gottshall: Ich war tatsächlich als Jugendlicher schon völlig verrückt nach Bigband. Ich bin ja in Pennsylvania aufgewachsen und in unserer Schulaula gab es immer mal wieder Bigband-Konzerte, die ich mir alle angeschaut habe. Zuhause habe ich dann stundenlang mit der Posaune zu den Platten gespielt. Als ich später mit 17, 18 Jahren nach Baltimore zum Studium ging, war Bigband immer noch mein Favorit. Erst im Laufe des Studiums habe ich gemerkt: Was mir am meisten Spaß macht, ist das Improvisieren. Dafür ist in Bigbands oft wenig Raum.
Das ist bei der NDR Bigband ja anders, weil dort gerade auch die solistischen Fähigkeiten der Musiker geschätzt und gefordert werden.
Gottshall: Und genau das ist es, was mir besonders Spaß macht! Auch gar nicht mal nur deshalb, weil ich dann selbst viel von mir zeigen kann, sondern auch, um die anderen Musiker zu hören und zu erleben, wie sie musikalisch mit verschiedenen Situationen umgehen. Es gibt bei uns auch einen riesigen Unterschied zwischen Proben und Konzerten. In den Proben geht es um die musikalische Struktur, die man sich erarbeitet. In den Konzerten fängt die Musik an zu leben! Oft wissen wir vorher selbst nicht, wie sich das live alles entwickeln wird. Und ich bin überzeugt davon, dass das nicht nur für uns spannend ist, sondern auch für das Publikum.
Sie sind seit 2002 festes Mitglied der NDR Bigband. Was schätzen Sie generell an Ihrer Arbeit als Profimusiker?
Gottshall: Für mich ist es nach wie vor so etwas wie eine gesunde Droge: Wenn wir in der Band spielen und es richtig gut läuft, dann denkt man nicht mehr: "Hier aufpassen, nicht kieksen!" oder "Gehe ich hier hoch? Spiele ich jetzt ein Gis?" Sondern man spielt einfach. Und wenn es vorbei ist, hat man das Gefühl, gemeinsam etwas geschafft zu haben, Spaß gehabt zu haben. In solchen Momenten bin ich in so einer Art Nirvana, im Zustand vollkommener Glückseligkeit - das ist etwas Wunderbares.
2017 haben Sie mit der NDR Bigband ein Programm mit Ihren eigenen Stücken gespielt - und dabei auch gesungen! Ist die Stimme ein neu entdecktes Ausdruckmittel für Sie?
Gottshall: Nein, im Gegenteil, ich habe schon gesungen, bevor ich auf der Posaune angefangen habe. Ich bin in Pennsylvania in einer protestantischen Gemeinde aufgewachsen und war zwei, drei Tage die Woche in der Kirche. Da wurde immer gesungen und zwar im vierstimmigen Chorsatz. Dadurch habe ich sehr früh Noten lesen gelernt - und auch zu Hause immer viel gesungen. In den USA war ich anfangs auch tatsächlich als Posaunist und Sänger aktiv. Als ich nach Deutschland kam, stand erstmal die Posaune im Vordergrund. Aber dann kam das so nach und nach, dass ich auch mit der NDR Bigband vereinzelt mal Stücke gesungen habe, und so hat sich das ergeben.
Entwickeln Sie auch die Ideen wie Melodien oder Soli auf der Posaune klingen sollen, aus dem Vorbild einer Gesangsstimme heraus?
Gottshall: Das versuche ich zumindest, und ich glaube auch, dass das eine gute Herangehensweise ist. Jedenfalls bis zu einem bestimmten Punkt, nämlich dann, wenn es auf der Posaune technisch so herausfordernd wird, dass das nicht mehr funktioniert. Aber am liebsten habe ich es wirklich so, dass ich in meinem Kopf höre, was ich singen oder spielen will, und die Posaune dient mir dann als Medium, um diese Vorstellung nach draußen zu bringen.
Das Interview führte Jessica Schlage (2019).