Umfrage zum Tag der Deutschen Einheit: Kluft bei Einkommen und Arbeit

Stand: 02.10.2024 06:00 Uhr

Die meisten Teilnehmenden einer #NDRfragt-Umfrage sind zufrieden mit der Wiedervereinigung. Trotzdem sehen viele Menschen unerfreuliche Unterschiede - etwa bei den Gehältern oder der Chancengleichheit

Seit 34 Jahren sind Ost- und Westdeutschland wieder vereint. Wie bewerten die Befragten die Wiedervereinigung allgemein? Die meisten Norddeutschen, die an der #NDRfragt-Umfrage teilgenommen haben, sind voll und ganz oder zumindest eher zufrieden. Das sehen die Teilnehmenden aus Mecklenburg-Vorpommern ähnlich wie die Menschen aus Schleswig-Holstein, Niedersachsen, Hamburg und Bremen: Im Osten sind 66 Prozent zufrieden, im Westen 70 Prozent.

Es sind aber auch rund ein Drittel der Befragten unzufrieden - in Mecklenburg-Vorpommern etwas mehr (34 Prozent) als in den westlichen Bundesländern (28 Prozent).

Über 20.000 Menschen aus Niedersachsen, Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern, Hamburg und Bremen haben an der Befragung teilgenommen. Alle Ergebnisse der nicht repräsentativen, aber gewichteten Umfrage gibt es hier als PDF zum Herunterladen.

Geld, Arbeit, Bildung: Unterschiede in Ost und West

Auch 34 Jahre nach der Wiedervereinigung werden noch viele Unterschiede wahrgenommen. Auf Platz eins der Bereiche, in denen sich die ostdeutschen Bundesländer den westdeutschen noch nicht angeglichen haben, sehen 51 Prozent der Teilnehmenden die Löhne und Gehälter, gefolgt von dem Angebot an Arbeitsplätzen (45 Prozent), der Infrastruktur in Städten und auf dem Land (23 Prozent), den Renten (22 Prozent) und der Bildung (15 Prozent).

"Es gibt im Osten deutlich weniger Industriearbeitsplätze und deutlich mehr Arbeit im Niedriglohnsektor", meint Ulrike, 56, aus Mecklenburg-Vorpommern. Damit seien viele Ostdeutsche nicht in der Lage, Vermögen zu bilden und für die Rente vorzusorgen. Auch Kenneth, 65, aus Hamburg sieht das so: "Es bessert sich zwar langsam, aber das Arbeitsplatzangebot ist im Osten immer noch schlechter. Zum einen gelten die 'neuen' Bundesländer immer noch als 'Billiglohnländer'. Zum anderen sind die Erwartungen höher, etwa bei Einsatzbereitschaft und Mobilität."

Blicken die Westdeutschen auf die Ostdeutschen herab?

Noch immer sehen sich die Menschen nicht auf Augenhöhe. In Mecklenburg-Vorpommern glauben die meisten Menschen, dass die Westdeutschen auf sie herabblicken. Besonders ausgeprägt ist diese Einschätzung im Landkreis Rostock, hier sehen das 75 Prozent so. Aber auch in den anderen Kreisen und in der kreisfreien Stadt Rostock sind rund zwei Drittel aller Menschen dieser Meinung. Anders in den westlichen Bundesländern: Hier bejahen diese Frage überall deutlich weniger als 50 Prozent, am wenigsten im Kreis Cloppenburg (26 Prozent).

Ein "Wir-Gefühl" gibt es bei vielen noch immer nicht - das ist auch das Ergebnis, das der Ostbeauftragte der Bundesregierung, Carsten Schneider, Ende September mit dem Jahresbericht Deutsche Einheit vorgelegt hat.

Wenig Chance für Chancengleichheit

Ein Faktor, der für ein Zusammenwachsen in der Zukunft eine große Rolle spielen dürfte, ist die Chancengleichheit. Doch auch hier sehen viele Menschen aus der #NDRfragt-Gemeinschaft eine Kluft zwischen Ost und West - und beurteilen das zudem ganz unterschiedlich: 54 Prozent der Teilnehmenden aus den westdeutschen Bundesländern meinen, dass die Menschen in Ostdeutschland die gleichen Chancen haben wie Menschen in Westdeutschland, 42 Prozent denken das nicht. Im Osten fällt das Urteil deutlicher aus: Hier glauben nur 29 Prozent an eine bereits existierende Chancengleichheit, 69 Prozent sagen, sie sei nicht vorhanden.

"Die Unterschiede im Lohngefälle sind gravierend, deshalb wandern besonders viele junge Menschen ab", sagt Annett, 40, #NDRfragt-Mitglied aus Mecklenburg Vorpommern. "Der gleiche Job wird im Westen besser bezahlt. In einem geeinten Land sollte dies anders sein. Wenig Chancen, hohe Arbeitslosigkeit und teilweise Perspektivlosigkeit bahnen sich immer noch ihren Weg."

Auffallend ist, dass junge Leute zwischen 16 und 29 Jahren - quer durch alle norddeutschen Bundesländer - das Thema Chancengleichheit besonders negativ bewerten. Also genau diejenigen, die in ihrem Leben gerade durch Schule, Ausbildung, Studium und die ersten Arbeitsjahre viel über Weichenstellungen und Chancen erfahren. 55 Prozent von ihnen sagen, dass Menschen in Ostdeutschland nicht die gleichen Chancen haben. Bei den Teilnehmenden ab 30 Jahren aufwärts teilen 41 Prozent diese Einschätzung.

Über diese Befragung

Die Antworten stammen aus einer Umfrage, die wir vorrangig einem anderen Thema gewidmet haben ("Widerspruchslösung: Automatisch Organspender?") und in der wir im Anschluss einige Fragen zum Thema Wiedervereinigung gestellt haben. An der Umfrage zur Wiedervereinigung haben sich 20.235 Norddeutsche beteiligt. 

Für die Ergebnisse wurden Antworten ausgewertet, die vom 10. bis 16. September 2024 um 9 Uhr abgegeben wurden. An den Umfragen von #NDRfragt nehmen Menschen aus Schleswig-Holstein, Hamburg, Niedersachsen, Mecklenburg-Vorpommern und Bremen teil. Die Umfragen werden online ausgefüllt.

Die Ergebnisse der Befragung sind nicht repräsentativ. Wir haben sie allerdings nach den statistischen Merkmalen Alter, Geschlecht, Bundesland und Schulabschluss gewichtet. Das heißt: Antworten von Bevölkerungsgruppen, die unter den Befragten seltener vertreten sind als in der norddeutschen Bevölkerung, fließen stärker gewichtet in die Umfrage-Ergebnisse ein. Und die Antworten von in der Befragung überrepräsentierten Gruppen werden schwächer gewichtet. Insgesamt verteilen sich die Antworten dann am Ende eher so, wie es der tatsächlichen Verteilung der Bevölkerungsgruppen in Norddeutschland entspricht.

Wachsende #NDRfragt-Community: Mehr als 46.000 Norddeutsche machen mit

#NDRfragt ist das Meinungsbarometer für den Norden. Mittlerweile haben sich mehr als 46.000 Norddeutsche für die Community angemeldet. Wer noch nicht dabei ist, aber mitmachen will, kann sich registrieren und wird zu den Umfragen per E-Mail eingeladen. Mitglied kann werden, wer in Niedersachsen, Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern, Hamburg oder Bremen wohnt und mindestens 16 Jahre alt ist.

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Dieses Thema im Programm:

NDR Info | 01.10.2024 | 15:00 Uhr