Ilka@home (10): 100 Tage Liko
Die große Koalition hat ja schon vergangenen Monat ihre 100 Tage als Regierung bilanziert. Und jetzt habe ich mit Lenny tatsächlich auch schon die 100 Tage zusammen. Kinder, wie die Zeit vergeht ...
Wie Ursula von der Leyen habe auch ich viele im Bekanntenkreis mit meinem neuen Amt schocken können. Doch während sie einer Mrs. Right in allen Ämtern gleicht und ihre Föhnfrisur selbst dem Wetter in Afrika trotzt, muss ich mich immer noch ein wenig einfinden - mit Sturmfrisur, aber zumindest mit Mr. Right an meiner Seite. Den Beziehungsstatus in unserer Liebling(s)koalition (Kurz: Liko) könnte man vielleicht mit dem einer 15-Jährigen vergleichen, die heillos in einen älteren Jungen verliebt ist. Auf Zeltpartys gibt sie ihm vom letzten Taschengeld einen überteuerten Charly* aus, bevor sie um zehn die Party verlassen muss, ohne dass er ihr überhaupt Tschüß gesagt hat. Dennoch ist sie glücklich und träumt nur von ihm.
Die Glucke übernimmt die Herrschaft über mein Denken
Ähnlich wie in der Groko geraten auch in der Liko die alten Turbulenzen in Vergessenheit und werden durch neue ersetzt. Geburt, durchgemachte Nächte, Schreiattacken - das alles entwickelt sich zu einem wabernden Erinnerungsbrei. Der siebenprozentige Verlust an Gehirnmasse während Schwanger- und Stillzeit ist eben doch zu etwas gut.
Gefeiert haben wir neulich übrigens auch, mit einem Cocktail - einem Impfcocktail. Während Lenny fasziniert von einer Spieluhr kaum bemerkte, dass er gepiekt wurde, gab ich im Behandlungszimmer die Glucke. Die Arme in die Seiten gestemmt breitete ich mein imaginäres Gefieder aus, in der Hoffnung, Lenny darunter verstecken zu können. Ich löcherte die Ärztin mit Fragen nach dem Motto: "Was wäre, wenn ...". Die arme Frau wurde schließlich von meinem Mann gerettet, der aus der Ecke nur "Boakh, boakh, boakh" gackerte und mich damit abrupt stoppte. Das ist unser Notsignal, wenn die Glucke in mir die Herrschaft über mein Denken übernimmt.
Diese unvorstellbar schönen Momente
"So wollte ich doch nie werden", ist ein Satz, den ich häufig gebraucht habe in den vergangenen 100 Tagen. Meist mit einem Glucksen und einem Taschentuch in der Hand, denn selbst "Wissen vor acht" konnte mich, hormongeschwängert wie ich war, zum Weinen bringen.
Ein NDR 2 Hörer schrieb mir vor kurzem, ob denn alles in Ordnung sei. Er mache sich Sorgen, weil ich im Blog doch sehr mein altes Leben zu vermissen scheine. "Um Gottes Willen!", habe ich nur gedacht, hört man denn nicht raus, wie sehr ich den Kleinen vergöttere? Ich glaube, viele erwarten, dass frischgebackene Mütter nur so vor Glück strotzen. Und sie sind ja auch oft da, diese unvorstellbar schönen Momente. Aber nach den ersten hundert Tagen kann ich sagen, dass ich mich auch oft mal nach meiner ranzigen Kiezkneipe gesehnt habe, wenn mich nach einer durchgemachten Nacht ein pickeliges, schlechtgelauntes Baby angeschrien hat. Trotzdem würde ich mein Leben mit Lenny niemals zur Wahl stellen und bin nach den ersten 100 Tagen froh, dass ich mit ihm eine Koalition auf Lebenszeit eingegangen bin.
*Für alle Nicht-Niedersachsen: Ein "Charly" ist ein Weinbrand-Cola.