Wacken Open Air: Wie die Rechte an der Weltmarke verteilt sind
In der Musikbranche ist das Wacken Open Air längst eine Weltmarke. Kürzlich hat der US-Investor KKR den Veranstalter Superstruct gekauft, der fast 70 Prozent der Anteile am W:O:A hält. Eine Gefahr fürs Festival?
Zu Gast bei Wacken-Open-Air-Gründer Thomas Jensen im legendären Landgasthof in Wacken: Jensen ist zusammen mit Holger Hübner zwar Wacken-Chef und Erfinder, aber hier huldigt man vor allem einem Mann aus Stoke-on-Trent in England. Eine Statue vor der W:O:A-Location zeigt eine der größten Rock-Ikonen der Musikgeschichte: Lemmy Kilmister. Im Erdgeschoss steht eine Vitrine mit der Kluft und einem Bass des 2015 verstorbenen Motörhead-Sängers.
Jensen spricht im Interview mit NDR Schleswig-Holstein von Kilmister als "spirituellem Leitbild" und Philosophen - völlig unironisch und mit leuchtenden Fan-Augen. Wacken galt als Kilmisters zweites Wohnzimmer - und für Zehntausende Metal-Fans ist "Lemmy" bis heute genauso über jeden Zweifel erhaben wie die Marke Wacken Open Air, kurz W:O:A.
Wacken-Gründer Jensen: "Teil einer größeren Gemeinschaft"
"Es hängt immer von den eigenen Entscheidungen ab, ob man unter die Räder kommt oder ob man seinen Weg geht", hat Lemmy Kilmister einmal gesagt. Die Entscheidung, große Teile ihrer Firma ICS International Concert Service zu verkaufen, haben die Wacken-Gründer Thomas Jensen und Holger Hübner bereits 2019 getroffen. Ob das Festival damit Gefahr läuft, unter die Räder zu kommen?
Wenn man Thomas Jensen im Landgasthof zuhört, klingt es trotz Anteilsverkaufs eher nach dem eigenen Weg, den das Festival mit dieser Entscheidung weitergeht: "Wir sind Teil einer viel größeren Gemeinschaft, und das war uns wichtig", sagt Jensen. Sein Produktionsteam sei gewachsen, die Kompetenz für die Festival-Durchführung liegt laut Jensen nach wie vor in Wacken: "Bei uns ändert sich gar nichts."
Hübner und Jensen: Reduzierung der Anteile auf rund 31 Prozent
Auf dem Papier stellen sich die Machtverhältnisse anders dar. Mit der "viel größeren Gemeinschaft" meint Jensen den britischen Konzertveranstalter Superstruct Entertainment Limited, der europaweit 80 Festivals ausrichtet - neben dem Wacken Open Air hält Superstruct zum Beispiel Anteile an dem Sziget-Festival in Ungarn oder dem deutschen Elektro-Festival Parookaville.
2019 hatten Hübner und Jensen laut Handelsregister insgesamt 55 Prozent der Anteile an ihrem Unternehmen ICS International Concert Service an Superstruct verkauft, im Februar folgte eine weitere Reduzierung ihrer eigenen Anteile. Für welchen Preis Hübner und Jensen verkauft haben, ist unbekannt. Fakt ist: Ihnen gehören jetzt nur noch jeweils rund 15,5 Prozent von ICS.
In der Zukunft ist laut Jensen eine weitere Reduzierung der Anteile auf jeweils fünf Prozent geplant. Superstruct seinerseits wurde vor einigen Wochen laut der britischen Tageszeitung "Financial Times“ für rund 1,3 Milliarden Euro von einem börsennotierten Großinvestor aufgekauft - nämlich von KKR.
Markenexperte: Unternehmen möchten von Wacken profitieren
Was verspricht sich ein milliardenschwerer Investor von Festivals wie dem Wacken Open Air? Für den Markenexperten Oliver Errichiello von der Hochschule Mittweida liegt der Wert der Marke Wacken aus Investorensicht besonders in Sponsorings und Markenkooperationen. "Dieses positive Grundgefühl, das viele Menschen haben, wenn sie über Wacken sprechen: Das möchten Unternehmen auf ihre eigene Marke übertragen. Das ist der Clou, und das lassen sich Unternehmen teilweise sehr, sehr viel Geld kosten", sagt Errichiello.
Auf seiner Homepage präsentiert sich Superstruct unter anderem als Netzwerker für solche Kooperationen: zum Beispiel mit dem Biersponsor Krombacher und einem gemeinsamen Bandprojekt gegen das Artensterben. Es ist laut Errichiello ein Geschäft mit der Glaubwürdigkeit und der wohl beispiellosen Integrität der Marke Wacken in der Metal-Szene.
KKR: Spekulationen um Springer-Zerschlagung und Umweltkritik
KKR ist derzeit wegen einer möglichen Aufspaltung des größten deutschen Medienkonzerns Axel Springer in den Schlagzeilen. Laute Kritik gibt es beim Thema Umweltschutz und Nachhaltigkeit an den umfangreichen KKR-Investitionen in fossile Energieprojekte - dabei geht es zum Beispiel um ein LNG-Projekt in Texas und ein Pipeline-Bauprojekt in Kanada.
Auch wenn sich KKR aktuell laut Jensen nicht ins operative Wacken-Geschäft einmischt, verdient der Investor fortan am Erfolg des Festivals. Viele der diesjährigen Wacken-Sponsoren schmücken sich mit ihrem Engagement für Nachhaltigkeit: nicht nur Krombacher, sondern zum Beispiel auch die Drogeriemarktkette Müller, Mineralwasser-Hersteller Gerolsteiner und der Biosaft-Hersteller Voelkel.
Wacken-Sponsor Voelkel: "Natürlich sehen wir KKR kritisch"
"Natürlich sehen wir den amerikanischen Investor KKR sehr kritisch. Der Zeitpunkt der Veröffentlichung hat Partnern wie uns keine Möglichkeit gegeben, dies in die Abwägung für oder gegen ein Sponsoring mit einzubeziehen", heißt es dazu vom niedersächsischen Familienunternehmen Voelkel.
Krombacher betont die Partnerschaft mit den W:O:A-Verantwortlichen vor Ort. Gerolsteiner wollte sich nicht äußern. Von Müller kam auf Nachfrage von NDR Schleswig-Holstein keine Antwort.
Ist es machbar, das typische Wacken Open Air zu erhalten?
"Wir sind jetzt genau an dieser Trennscheibe, an der es wirklich darum geht zu sehen: Wie schafft man es, das typische Wacken zu erhalten?", prognostiziert Markenexperte Oliver Errichiello. Der Verkauf von Unternehmensanteilen an Superstruct ist laut Gründer Jensen Teil eines langfristigen Plans, der die Zukunft des Festivals sichern soll.
"Outdoor-Veranstaltungen sind mit nicht unerheblichen Risiken behaftet. Und da gilt es, auch unternehmerisch zu gucken: Wie wird es weitergehen? Unser Ziel ist, dass das Festival stetig besser wird", erklärt Jensen.
Gründer Jensen will "Metal-Familie" stets Gehör schenken
Das Wacken Open Air sei immer sehr organisch gewachsen und genieße deshalb einen starken Rückhalt in der Bevölkerung. "Die Leidenschaft für diese Musik ist das Wichtige", sagt Jensen.
Bei Veränderungen höre man sehr genau zu, welche Resonanz diese in der Wacken-Community - Jensen spricht von seiner "Metal-Familie" - hervorrufen. "Zu viel Kirmes" wolle man nicht - kein Wachstum um jeden Preis also.
Keine Rückzugspläne von Gründern Hübner und Jensen
Absehbare Rückzugspläne von Jensen und Hübner gibt es trotz reduzierter Anteile nicht. "Wir haben die besten Fans der Welt. Es ist eine Ehre, dass wir für sie arbeiten dürfen. Und das werden wir und unser ganzes Team weiter machen", sagt Jensen. Trotzdem sei es ihre Aufgabe, das Team so aufzustellen, dass es irgendwann auch ohne die beiden funktioniere.
Und das gelinge gut. Einige Mitarbeitende seien wie Jensen und Hübner bereits seit 1990 dabei, sagt Jensen selbst. Ob ihre Festival-Pläne auch in Zukunft zu den Mehrheitseigner-Interessen passen? Aus Fan-Sicht kann man das nur hoffen - und vielleicht hofft Lemmy Kilmister irgendwo ganz fest mit.