Wird nordfriesische Schafswolle zum Abfallprodukt?

Stand: 10.11.2023 05:00 Uhr

Früher haben die rund 1.000 Schäfereien im Land mal Geld damit verdient. Mittlerweile ist die Wolle ihrer Schafe zum Verlustgeschäft geworden. Und die Lager in Schleswig-Holstein sind voll.

von Lena Haamann

Bei Sturm - wie heute - muss er zweimal am Tag nach seinen Schafen sehen. Landwirt Henning Hinz läuft zwischen seinen 2.000 Muttertieren entlang, die hinter dem Deich bei Westerhever (Kreis Nordfriesland) an der Nordsee grasen - um sich zu versichern, dass keins umgeweht wurde. Denn durch ihre dichte Wolle würden die Tiere nicht alleine wieder auf die Beine kommen. "Die Schafe brauchen die Wolle als Witterungsschutz", sagt Henning Hinz. "Und sie ist ein super Produkt für Kleidung oder Teppiche, weil sie atmet." Trotzdem: Im Moment ist sie nichts mehr wert.

Wolle ist mittlerweile ein Verlustgeschäft

Ein Mann steht mit einer Herde Schafe an einem Deich. © NDR Foto: Lena Haamann
Mit Schafswolle hat der Betrieb von Henning Hinz früher deutlich mehr Geld eingenommen.

Als Henning Hinz klein war, zählte die Wolle mal zum Hauptgeschäft seiner Familie. Bis vor drei Jahren hat er immerhin noch drei Euro pro Kilogramm bekommen. Heute sind es nur noch 30 Cent. "Das ist ein Minusgeschäft", rechnet der Schäfer vor: "Wenn ein Schaf fünf Kilo Wolle hat, sind das nur 1,50 Einnahme pro Tier. Und ein Scherer nimmt drei Euro - das deckt nicht mal die Kosten." Trotzdem muss die Wolle ab. Einmal im Jahr lässt Henning Hinz seine Herde scheren. Damit das Fell nicht verfilzt und die Schafe im Sommer nicht schwitzen.

Überfüllte Lager beim Wollhändler

Die 10.000 Kilogramm Wolle im Jahr, die dabei anfallen, hat bis jetzt die Firma Friedrich Sturm GmbH angekauft - einer der größten Wollhändler Deutschlands. Aber seit September sind die drei Lager voll. Gesellschafter John Rainer Semmelhaack steht in einem davon, in Tönning. Um ihn herum lagern verpackte Wollballen bis unter die Decke. "Noch ein Kilo mehr und das Dach wäre weggeflogen", sagt er. "Irgendwann ist Feierabend. Wir haben schon alle Ressourcen genutzt, die wir haben, Außenlager und anderen Platz, der eigentlich gar nicht für Wolle gedacht war."

Keine Abnehmer für gröbere Schafswolle

Zwei Mitarbeiter sind hier gerade dabei, die noch nicht eingepackte Wolle nach Qualität zu sortieren. Danach wird sie per Förderband in eine Presse transportiert und in 400 Kilo-Pakete verpackt. Hätte Semmelhaack, der auch mit Tierhäuten und -fellen handelt, nicht noch weitere Standbeine, könnte er sich das schon seit Jahren nicht mehr leisten. "Das Wollgeschäft ist seit mindestens drei Jahren hochgradig defizitär", sagt er. "Der Lkw kostet, die Presse kostet, der Strom kostet, der Mitarbeiter kostet. Und selbst den Minimumerlös, den die Kosten ausmachen, können wir heute nicht mehr erwirtschaften." Denn der Markt für deutsche Schafswolle ist fast komplett zum Erliegen gekommen.

Konkurrenz aus Übersee wird größer

In einer Firma wird Schafswolle verarbeitet. © NDR Foto: Lena Haamann
Kaum jemand setzt noch auf Schafswolle. China zum Beispiel kauft immer weniger Wolle aus Schleswig-Holstein.

Semmelhaack zieht einen Büschel Wolle aus einem der Säcke und reibt sie zwischen den Fingern. "Wolle ist eigentlich eine fantastische Faser, die jeder Kunstfaser überlegen ist", schwärmt er. "Aber sie ist eben auch ein Naturprodukt. Und damit etwas kompliziert in der Verarbeitung. Fast Fashion schüttelt sich, wenn sie Naturwolle sehen. Denn für die Massenherstellung braucht es uniforme Produkte." Aber jedes Schaf ist anders, und die Lieferketten für Wolle sind extrem lang. China, das größte Wollverarbeitungsland für die Textilindustrie, hat deshalb seit rund fünf Jahren immer weniger Wolle aus Deutschland gekauft. Während Corona kam der Handel dann durch den Lockdown ganz zum Erliegen. Neben Kunstfasern machen feinere Wollarten aus Übersee der deutschen Schafswolle immer mehr Konkurrenz. Merinowolle aus Neuseeland oder Australien wird immer beliebter.

Rund 1.000 schafhaltende Betriebe gibt es in Schleswig-Holstein nach Angaben des Landesverbands Schleswig-Holsteinischer Schaf- und Ziegenzüchter - mit insgesamt 200.000 Tieren. Viele bekommen für ihre Wolle mittlerweile gar nichts mehr. Wenn sich nicht bald etwas ändert, werden sie auf ihrer Wolle sitzenbleiben. "Dann wird Wolle zum Abfallprodukt", sagt Großhändler Semmelhaack. Aber noch hat er Hoffnung. Denn er glaubt an sein Produkt, und daran, dass sich das Bewusstsein der Konsumenten wieder verändern kann. Seit zwei Jahren hat er gerade das erste Mal wieder Wolle nach China verkauft. Das sei zwar nicht gewinnbringend, aber schaffe immerhin wieder etwas Platz im Lager.

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Dieses Thema im Programm:

NDR 1 Welle Nord | Schleswig-Holstein Magazin | 09.11.2023 | 19:30 Uhr

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