Wenn Pferde zum Notfall werden: Nachts in der Pferdeklinik
Nicht nur Menschen benötigen im Notfall medizinische Hilfe. Auch für Tiere sind Tag und Nacht Menschen an Orten im ganzen Land im Einsatz, um zu helfen. Einer dieser Orte ist Tappendorf im Kreis Rendsburg-Eckernförde.
Die Sonne ist in Tappendorf (Kreis Rendsburg-Eckernförde) bereits untergegangen, es ist dunkel. Die Nachtschicht hat begonnen. "Wenn es ein echter Notfall ist, ist die Uhrzeit immer egal", sagt Tierarzt Michel Milewski, während er sich medizinische Handschuhe anzieht. Vor ihm steht der 18 Jahre alte, braune Holsteiner Wallach Quadrino - ein Kolik-Notfall. Kolik steht für Bauchschmerzen aller Art. Die Besitzerin von Quadrino, die hier namentlich nicht auftauchen möchte, macht sich große Sorgen. Sie fand ihr Tier "festgelegen", es konnte also nicht ohne Weiteres aufstehen, wirkte teilnahmslos und hatte keinen Appetit. Ihr Tierarzt hatte sie mit Quadrino nach einer kurzen Untersuchung in die Notfallklinik geschickt.
Denn bei schweren Koliken können Medikamente manchmal nicht ausreichen - dann könnte eine Operation helfen. Aber auch dann ist nicht garantiert, dass die Pferde überleben. Die genaue Ursache für Quadrinos Abgeschlagenheit, seinen hohen Puls und die Schweißausbrüche zu finden dauert, die Untersuchung im Diagnoseraum läuft noch eine Weile.
Freud und Leid: In der Pferdeklinik dicht beieinander
Wie emotional es hinter dem großen Holztor zugehen kann, denkt man beim ersten Blick nicht unbedingt. Die Pferdeklinik Tappendorf ist 365 Tage im Jahr und rund um die Uhr Anlaufstelle für Pferdehalterinnen und -halter. Sie wirkt von außen wie ein gemütlicher Reiterhof. Die skandinavisch anmutenden und rot gestrichenen Holzgebäude versprühen einen Hauch von Bullerbü-Idylle. Es gibt diverse Stallgebäude, aus denen verschiedene Pferde neugierig dem Treiben im Innenhof zuschauen. Im Zentrum der ringförmig angeordneten Ställe steht das Aufenthaltsgebäude für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, ebenfalls ein skandinavisches Holzhaus. Drinnen ist es angenehm warm, es riecht nach Harz, der Holzofen ist an. Im Büro der Tierpflege findet gerade die Schichtübergabe statt. Die tiermedizinischen Fachangestellten Lea Hackauf und Anni Janßen besprechen den Arbeitsplan der bevorstehenden Nachtschicht von 21 bis 7 Uhr.
Bei Vollauslastung stehen hier bis zu 29 Pferde überdacht in Boxen. Weitere, zum Beispiel solche, die kurz vor der Entlassung stehen, kommen auf einer der Weiden direkt an der Klinik unter. Je nach Erkrankung muss mehrfach pro Nacht nach den Tieren geschaut werden. Wenn viel los ist, bedeutet das wenig bis gar keinen Schlaf für die Mitarbeitenden. Derzeit müssen viele Pferde betreut werden. "Das liegt an der Futterumstellung, weg vom frischen Gras. Das haben wir jedes Frühjahr und jeden Herbst, dass hier viel los ist. Immer wenn es von draußen nach drinnen geht, oder umgekehrt", so Hackauf.
Koliken können lebensbedrohlich sein
Im hell erleuchteten Untersuchungsraum riecht es mittlerweile nach medizinischem Alkohol. Tierarzt Milewski bereitet die Ultraschalluntersuchung vor. Eben noch hatte er einen ungefähr drei Meter langen Schlauch mit Mundstück durch die Nase des Pferdes geführt. Mit der sogenannten "Nasenschlundsonde" wird geprüft, wie der Mageninhalt eines Pferdes aussieht. Um festzustellen, wie akut ein etwaiger Darmverschluss ist. Das geht nur mit Fingerspitzengefühl. "Ich weiß gar nicht, wie oft ich dabei schon Magensäure im Mund hatte. Schön ist das nicht. Aber anders geht es eben nicht." Seine Partnerin habe da keine Berührungsängste, immerhin mache sie den gleichen Job, so Milewski schmunzelnd.
Nun folgt die Ultraschalluntersuchung. An verschiedenen Stellen wurde das Haar des Pferdes rasiert, der Ultraschallkopf muss so dicht wie möglich auf die Haut. Das Ergebnis der Untersuchung ist alarmierend. "Der Dünndarm ist hier so aufgequollen, da staut sich irgendwo massiv etwas. Da wäre selbst mit einer OP keine Garantie, dass es am Ende gut ausgeht." Sollte die Halterin sich für eine OP entscheiden, wäre in Tappendorf alles dafür vorhanden. "Wir haben den neuen Operationssaal gerade erst fertig gestellt", so Milewski. Außerdem stünde im Raum nebenan der modernste Kernspintomograph für Pferde, den man derzeit bekommen kann.
Ein Notfall kommt selten allein
Nebenan hat in der Zwischenzeit das Telefon geklingelt. Eine Pferdehalterin aus der Nähe von Flensburg hat sich angemeldet. Ihr Springpferd sieht nichts mehr, ist am Nachmittag völlig panisch durch mehrere Zäune gebrochen. In einer Stunde ist sie da. "Für uns ist das Alltag, aber nie Standard", so Pflegerin Hackauf. "Man weiß ja nie was kommt. Manche Wochen sind total ruhig. Aber im Moment geht’s echt rund."
Holsteiner Wallach Quadrino hat seine Untersuchung mittlerweile hinter sich. Wahrscheinliche Ursache für die Beschwerden: ein verdrehter Darm. Eine Operation kommt für die Halterin wegen der schwierigen medizinischen Vorgeschichte des Pferdes nicht in Frage. Bei Quadrino sollen es nun Medikamente richten. "Ich sehe da allerdings wenig Aussichten auf Erfolg, auch wenn ich es dem Lieben echt gönne. Der hat so toll mitgemacht, selbst bei den unangenehmen Sachen." Und das Tier müsse starke Schmerzen haben, so Tierarzt Milewski.
Routine in der Ausnahmesituation
Während der Notfallpatient seine erste Infusion mit Medikamenten erhält, steht die Visite beim Rest der Patientinnen und Patienten an. Hier noch einmal Blut abnehmen, dort unter den Verband gucken. "Und ganz viele Streicheleinheiten verteilen. Das brauchen die", sagt Lea Hackauf. Für die Pferde sei das hier ja auch kein Hotelaufenthalt. Nach der Visite steht die erste kurze Pause zum Aufwärmen an. Es ist kurz nach 23 Uhr. "Diese Nacht wird hier keiner viel schlafen." Bei so einem Notfall stehen sie fast stündlich in der Box um nach dem Rechten zu sehen, so die tiermedizinische Fachangestellte.
Gegen 1 Uhr nachts ist klar: Quadrino wird es nicht schaffen. Trotz der maximal möglichen Medikamentendosis geht es ihm nicht besser. Tierarzt Milchewski hat gerade telefoniert. "Die Halterin kommt jetzt, um sich zu verabschieden." Auch das ist Teil der Arbeit in der Pferde-Notfallklinik. 365 Tage im Jahr. Rund um die Uhr.