Stutthof-Prozess: Bericht über Vor-Ort-Besuch sorgt für Streit
Um besser verstehen zu können, was die Angeklagte im Stutthof-Prozess über die Arbeit im KZ wusste, war das Gericht nach Polen gereist. Nun wurde der Bericht verlesen. Der Verteidiger von Irmgard F. plädierte dafür, den Bericht nicht in die Urteilsfindung mit einfließen zu lassen.
Seit gut einem Jahr schweigt die 97-jährige Irmgard F. vor dem Landgericht in Itzehoe (Kreis Steinburg). Ihr wird Beihilfe zum Mord in mehr als 11.000 Fällen vorgeworfen. Die Angeklagte soll von Juni 1943 bis April 1945 für einen Kommandanten im Konzentrationslager Stutthof bei Danzig gearbeitet haben. Weil Irmgard F. nicht aussagt, muss das Gericht bislang ausschließlich auf anderen Wegen versuchen, Antworten zu finden.
Einer dieser Wege führte die Prozessbeteiligten jüngst nach Polen. Sie besuchten das ehemalige Konzentrationslager, um zu sehen, wie das Lager aufgebaut war und was die Angeklagte von ihrem Arbeitsplatz aus hätte sehen können. Am Dienstag wurde der entsprechende Bericht von der zuständigen Strafkammer in Itzehoe verlesen.
Konzentrationslager war offenbar von Kommandantur aus zu sehen
Die Richter und der Sachverständige treffen in ihrem Bericht eine eindeutige Feststellung: Irmgard F. konnte demnach aus dem Fenster des Geschäftszimmers in der Kommandantur auf das so genannte "Neue Lager" blicken. Dazu zählte laut Bericht auch das "Judenlager", in dem die schlimmsten Haftbedingungen herrschten. Nach Angaben des Sachverständigen war auch eine Weggabelung im "Neuen Lager" zu sehen gewesen, an der es häufig zu Fluchtversuchen von Gefangenen und Schüssen von SS-Männern kam.
Laut Bericht waren auch aus anderen Räumen die Lagerflächen einsehbar. Von einer Art Archiv aus seien auch das "Alte Lager" sowie die dahinter liegende Gaskammer mit Krematorium zu sehen gewesen. Direkt neben der Kommandantur seien auch neue Gefangene in Massentransporten angekommen und selektiert worden, hieß es weiter.
Verteidiger legt Widerspruch gegen den Bericht ein
Der Verteidiger von Irmgard F. hatte versucht zu verhindern, dass das Protokoll verlesen wurde. Nachdem der Bericht dann aber doch verlesen wurde, plädierte der Anwalt dafür, dass die Erkenntnisse daraus nicht in die Urteilsfindung miteinfließen sollten. Weiter sagte er: "Wir waren nicht dabei. Wir wissen nicht, was die Angeklagte, gehört, gesehen und geschrieben hat." Außerdem machten die Ausführungen des Sachverständigen einen Schwerpunkt des Berichts aus, hieß es weiter. Dahinter trete der eigentliche Vor-Ort-Termin zurück.
Die Verteidigung hatte dem Sachverständigen während des Prozesses schon mehrfach vorgeworfen, für die Angeklagte entlastende Aspekte nicht zu erwähnen.
Erstmals hat ein Gericht Stutthof besucht
Für einen Vertreter der Nebenklage war klar, dass die Angeklagte einen guten Blick auf wesentliche Teile des Lagers hatte. Der Vor-Ort-Besuch durch die Itzehoer Richter sei eine Anerkennung des Leids der Nebekläger gewesen. Kein anderes deutsches Gericht habe bislang Stutthof besucht, so der Nebenkläger.
Das Gericht will die Beweisaufnahme nach Angaben einer Sprecherin möglichst beim nächsten Verhandlungstermin am 15. November schließen.