Kolumne: Willkommen in der Streikzeit
"Busfahrer der Verkehrsbetriebe streiken", "Kurzfristiger Streik am Hamburger Flughafen", "Warnstreik: Erst leere Bahnsteige, dann Chaos auf Bahnhöfen" - die Schlagzeilen zu Arbeitskämpfen im Land häufen sich. Das ist erst der Anfang, behauptet unsere Kolumnistin.
Als Journalistin ohne Festanstellung kann ich zwar nur bedingt über das Thema streiken schreiben, als freier Knecht kämpfe ich ganz allein seit Jahren um die Honorare für meine Texte. Das Gefühl von Ungerechtigkeit zwecks unverhältnismäßig geringer Besoldung kenne ich jedoch genauso gut wie Tarifbeschäftigte. Ein Gefühl, was gerade vermehrt auf die Straße getragen wird. Kaum ein Tag vergeht, an dem man nicht von einem kommenden Streik liest - oder wie ich am leeren Bahnsteig genervt merkt, dass man gerade mittendrin steckt. Also nicht im Arbeitskampf, aber in dessen wirkmächtigstem Instrument: der organisierten Arbeitsniederlegung.
"Wenn ich nichts tue, passiert halt auch nichts"
Seit im Jahre 1159 v. Chr. während des ersten dokumentierten Streiks in Ägypten die Arbeiter kollektiv ihre Arbeit niederlegten, ist viel Wasser den Nil hinuntergeflossen. Heute verhandeln die Tarifvertragsparteien die Gehälter für eine große Anzahl an Menschen und zwar momentan häufiger und wütender als früher. Warum? "Die Trittbrettfahrermentalität, die in den letzten Jahrzehnten vorherrschte, wandelt sich", sagt ver.di-Sprecher Frank Schischefsky am Telefon. Lange Zeit, sagt er, riss man seine Stunden ab in dem Wissen, die Gehaltserhöhung käme verlässlich. Es gab noch so verrückte Dinge wie "Weihnachts- und Urlaubsgeld". Diese Zeit, so Frank Schischefsky, sei vorbei.
Alles wird teurer
Darüber hinaus hat der Ukraine-Krieg die Inflation in die Höhe getrieben und man starrt mit Tränen in den Augen im Supermarkt auf den Kassenbon. "Tja, und dann merken die Leute: Wenn ich nichts für mein Gehalt tue, passiert halt auch nichts", so der ver.di-Sprecher. Das Ergebnis: Viel mehr Menschen kämpfen für höhere Löhne (ergo ausgefallene Flüge, leere Bushaltestellen, geschlossene Kitas) und die Gewerkschaften verzeichnen einen rasanten Mitgliederanstieg.
Sturm am Horizont
Dazu kommt: Die Kämpfenden haben plötzlich viel mehr Macht. Der Arbeitsmarkt hat sich in einen Arbeitnehmermarkt gewandelt. Es gibt viel mehr freie Stellen als Arbeitssuchende und Unternehmen können nicht mehr wie früher Löhne und Arbeitsbedingungen diktieren. Im Gegenteil: Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber müssen sich warm anziehen. Ich rate zur Windjacke, denn die Brise hat sich gedreht, ich sehe sogar Sturm am Horizont.