"Wie ein Reh im Wald": Freispruch nach Ostsee-Wildpinkeln
In Lübeck hat das Amtsgericht einen Mann freigesprochen, der nach Angaben des Ordnungsamtes im Juli 2022 bei Nacht in die Ostsee uriniert hatte. Ein Teil der Urteilsbegründung: Menschen haben in der freien Natur nicht weniger Rechte als Tiere.
Am 30. Juli 2022 um kurz nach Mitternacht hatte der Mann laut Geständnis in die Ostsee gepinkelt - mit dem Rücken zum Strand stehend. Das Ordnungsamt erwischte ihn dabei und verhängte ein Bußgeld wegen Belästigung der Allgemeinheit, denn Wildpinkeln ist nach Paragraf 118 Ordnungswidrigkeitengesetz (OWiG) strafbar. Das wollte der Mann nicht zahlen und zog vor Gericht. Laut dem Urteil des Amtsgerichts Lübeck stellt das Urinieren in diesem Fall tatsächlich keine Ordnungswidrigkeit dar. Der Mann habe versucht, Rücksicht zu nehmen.
Amtsgericht Lübeck: "So ist es halt an der Küste"
In der Dunkelheit sei er allenfalls schemenhaft für Dritte sichtbar gewesen. Die "Art der Verrichtung" sei unter diesen Umständen keine Belästigung, so das Gericht. Zudem soll es keine Beschwerden gegeben haben und der Mann hatte nach eigenen Angaben versucht, Abstand zu anderen Personen zu halten. "Unter Beachtung üblicher Rücksichtnahmen und ohne Hinzutreten besonderer Umstände" sei dieser Fall daher keine ungehörige Handlung, heißt es in der Urteilsbegründung.
"Der Mensch hat unter den Weiten des Himmelszeltes nicht mindere Rechte als das Reh im Wald, der Hase auf dem Feld oder die Robbe im Spülsaum der Ostsee." Auszug aus dem Urteil des Amtsgerichts Lübeck
Bei naturnahen Arbeiten oder Beschäftigungen, wie zum Beispiel Wanderungen, gebe es eine gewisse Üblichkeit und Duldung des öffentlichen Wasserlassens. Anders als in den Bergen oder am Waldrand gibt es am Meer laut Amtsgericht jedoch keine andere Rückzugsmöglichkeit als sich umzudrehen. "So ist es halt an der Küste." Die Tat sei als Einzelfall betrachtet naturrechtlich verankert, menschlich - und somit natürlich, wie bei Tieren.
Verunreinigung der Ostsee ausgeschlossen
Bei einer Wassermenge von 21.631 Kubikkilometern Brackwasser in der Ostsee kann laut Urteil auch nicht von einer Verschmutzung oder Belästigung durch Gerüche gesprochen werden. Dafür sei die Menge Urin, die von einem Menschen ausgeht, selbst im Wiederholungs- oder Nachahmungsfall zu gering.