Europawahl: Das ist Menschen in Schleswig-Holstein wichtig

Stand: 02.05.2024 04:00 Uhr

Eine Auswertung von #NDRfragt zeigt: Die meisten Befragten finden nicht, dass im EU-Parlament für Schleswig-Holstein relevante Themen behandelt werden. Am wichtigsten wäre ihnen dabei Klimaschutz, Migration und Sicherheit.

von Friederike Schneider

Am 9. Juni ist Europawahl - im Vorfeld wollte #NDRfragt von Menschen in Schleswig-Holstein wissen, was für sie dabei die wichtigsten Themen sind, wie sie sich und ihre Interessen repräsentiert sehen und wie sie zum Beispiel den Zusammenhalt der EU-Länder einschätzen. 3.848 Menschen haben teilgenommen. Die Umfrage ist nicht repräsentativ, aber aussagekräftig für Schleswig-Holstein. #NDRfragt gewichtet die Antworten, um Verzerrungen weitgehend herauszurechnen.

Neun von zehn Wahlberechtigten wollen abstimmen

Das Ergebnis: Von den Teilnehmenden, die wahlberechtigt sind, wollen 90 Prozent auch wählen gehen. Acht Prozent sind noch unentschlossen, nur ein Prozent der Befragten gab an, nicht abstimmen zu wollen.

Sorge um den Zusammenhalt in der EU

Allerdings sehen viele Befragte den Zusammenhalt zwischen den EU-Ländern mit gemischten Gefühlen. Mehr als die Hälfte (57 Prozent) bewertet diesen als schlecht oder sehr schlecht. 42 Prozent halten ihn für gut oder sehr gut.

69 Prozent gaben an, sich auf jeden Fall oder eher um den Zusammenhalt zu sorgen. 29 Prozent tun das nicht.

Interessen von SH nicht repräsentiert?

Mehr als die Hälfte der Befragten (61 Prozent) haben zudem nicht das Gefühl, dass im EU-Parlament die für Schleswig-Holstein wichtigen Themen besprochen werden. Nur 26 Prozent beantworteten die Frage mit ja oder eher ja.

Laut dem Politikwissenschaftler Christian Martin von der Christian-Albrechts-Universität (CAU) Kiel könnte das daran liegen, dass die EU für viele Menschen weit von ihrer Alltagsrealität entfernt ist. Tatsächlich wissen die meisten Schleswig-Holsteinerinnen und Schleswig-Holsteiner auch nicht, wer für das nördlichste Bundesland im EU-Parlament sitzt.

Klimaschutz, Migration und Sicherheit als wichtige Themen

Danach gefragt, welches die, aus ihrer Sicht, für Schleswig-Holstein wichtigsten Themen sind, anhand derer sie auch ihre Wahlentscheidung treffen, antworteten rund 2.300 Teilnehmende. Mit Abstand am häufigsten wurden dabei Klimawandel und Umweltschutz beziehungsweise eine gemeinsame Klimapolitik genannt.

Fast genauso sehr beschäftigen die Teilnehmenden die Themen Migration und Flüchtlingspolitik - viele fordern dabei explizit eine Begrenzung der Zuwanderung, andere einen menschenwürdigen Umgang mit Geflüchteten und bessere Integration.

Ebenso treibt die Menschen das Thema Sicherheit um: Viele nannten die Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik als entscheidendes Thema, insbesondere auch mit Bezug zum Krieg in der Ukraine und dem Umgang mit der russischen Aggression.

Für Politikwissenschaftler Martin sind diese Themen ein Spiegelbild der aktuellen politischen Debatten, die sich auf den öffentlichen Diskurs auswirken. Und: "Es sind immer Krisen, die Menschen in ihrem Interesse an der EU antreiben", sagt er.

Soziale Gerechtigkeit und Schutz der Demokratie

Ebenfalls oft genannt wurde Sozialpolitik oder Schlagworte wie soziale Gerechtigkeit und Armutsbekämpfung. Außerdem sorgen sich die Teilnehmenden offenbar um den Schutz der Demokratie: Mehrfach wurden Themen wie Rettung oder Stärkung der Demokratie, Vorgehen gegen rechte Tendenzen und Rechtsruck oder die Bekämpfung von Rechtsextremismus formuliert. Weitere Themen, die immer wieder auftauchten, waren zum Beispiel Wirtschaft, Energiewende, Verkehr und Mobilität, Bildung und Agrarpolitik.

EU-Entscheidungen im Alltag spürbar

Dass die Menschen in Schleswig-Holstein den Entscheidungen der EU zu diesen Themen Bedeutung zumessen, zeigt sich auch in den insgesamt 900 Freitext-Antworten zu den Auswirkungen auf den Alltag:

Die Entscheidungen der EU haben großen Einfluss darauf, wie die großen Themen wie zum Beispiel Erhalt der Demokratie, die Klimakrise, der Umgang mit fliehenden Personen aus Kriegen angegangen werden kann. Es bietet die Grundlage für die weitere Handhabe in den Ländern der EU, was auch auf die Kommunen ausstrahlt. Karolina, 32, Kiel

Die Gesetzgebung durch die EU ist die grundlegende Voraussetzung, dass Themen wie Umweltschutz und Mobilitätswende beschleunigt werden, und die dem entgegenstehenden Entscheidenden in der deutschen Politik diese existenziell notwendigen Veränderungen nicht weiter behindern. Nicola, 55, Lübeck

Die politischen Entscheidungen in der EU haben massiven Einfluss darauf, wie mit den Herausforderungen der Klimaveränderung umgegangen wird, und damit natürlich direkt auf meine Lebensbedingungen. Wenn die Macht der rechten, antidemokratischen Parteien zunimmt, wird das Einfluss darauf haben, in was für einer gesellschaftlichen Atmosphäre ich leben werde. Nicola 67, Stormarn

Befragte stören sich an zu viel Bürokratie

Die häufigsten Antworten auf die Frage, welche Folgen die EU für den Alltag hat, waren allerdings: Richtlinien und Vorgaben sowie offene Grenzen und Reisefreiheit. EU-Richtlinien spüren die Befragten in verschiedensten Bereichen ihres Lebens.

Die EU reglementiert eine Vielzahl von Situationen. Ob es um das Verpacken von Salatgurken, Agrarsubventionen oder Einwanderungspolitik geht. Kristian, 46, Pinneberg

Ich arbeite in einem regulierten Markt, in dem die Produkte zugelassen werden müssen. Da gibt es jede Menge Regelungen der EU, die eine Rolle spielen. Aus meiner Sicht sind es sogar zu viele. Da haben es die Marktteilnehmer zusammen mit der EU übertrieben. Ole, 46, Ostholstein

Die EU wirkt sich durch ihre Richtlinienkompetenz in allen Bereichen auf meinen Alltag aus. Als Beispiel nehme man nur Richtlinien zur Gewährleistung bei Elektronikgeräten oder die Vereinheitlichung von Anschlüssen (bspw. USB-C). Henrik, 29, Flensburg

Viele der Befragten empfinden die Regulierung dabei als zu kleinteilig und bestimmte Vorgaben - auch zu Ausschreibungen und Abläufen - als zu bürokratisch.

Die EU hemmt durch viel Bürokratie die wirtschaftliche Entwicklung. Christian, 36, Pinneberg

Viele Bereiche (zum Beispiel Vergaben im öffentlichen Bereich oder Landwirtschaft) werden durch die Vielfalt und Komplexität der Regelungen immer schwerer vermittelbar und wenig praktikabel. Elisa, 33, Steinburg

Wissenschaftler: EU fällt dann auf, wenn sie stört

Das ist aus Sicht des Kieler Politikwissenschaftlers Martin von der Christian-Albrechts-Universität nicht verwunderlich. "Die Europäische Union fällt meistens dann im Alltag auf, wenn sie etwas macht, was stört - sei es jetzt das Verbot von Strohhalmen oder andere Vorgaben."

Dass Europa und die EU im öffentlichen Diskurs oft schlecht dasteht, ist aus Sicht des Politikwissenschaftlers daher zum Teil ein verzerrtes Bild. "Menschen denken vor allem dann über Europa nach, wenn was nicht gut läuft. Dann ist Europa Thema, aber eben meistens negativ", sagt Martin. In Schleswig-Holstein könnten das zum Beispiel Bereiche wie Artenschutz oder die Fischerei sein. Deshalb kann es laut Martin auch gut sein, wenn Europa und die EU im Alltag nicht immer deutlich zu spüren sind. "Je wichtiger Europa wird, desto mehr haben die Menschen auszusetzen", sagt er.

Menschen aus SH schätzen Reisefreiheit und offene Grenzen

Reisefreiheit und offene Grenzen empfinden die Teilnehmenden dagegen als positiv:

Es ist einfach, sich bei Reisen innerhalb der EU keine Gedanken über Visa oder Devisen zu machen. Das finde ich großartig. Ute, 46, Lübeck

Ich konnte bisher erleben, dass ein offenes Europa eine enorme Bereicherung für mich ist: Schüler*innen-Austausch in der Schulzeit, internationale Treffen mit Jugendlichen, die gemeinsame Währung und viele unterschiedliche Menschen, dazu Reisen zum Beispiel in die baltischen Länder. Birgit, 60, Pinneberg

Die Freizügigkeit, als europäischer Bürger überall hin zu reisen und überall gleichberechtigt abgesichert zu sein, ist mir sehr wichtig, auch für meine Kinder. Thomas, 66, Segeberg

Die Reisefreiheit erleichtert meine Arbeit, da nicht für alles ein Visum benötigt wird. Niklas, 28, Segeberg

In diesem Zusammenhang wurden auch immer wieder offene Grenzen, nicht nur für Menschen, sondern beispielsweise auch für den Warenverkehr genannt. In einigen Antworten zeigt sich Schleswig-Holsteins Nähe zu Dänemark, denn der dortige Grenzverkehr - und auch die von Dänemark zwischenzeitlich eingeführten Kontrollen - wurden angesprochen.

Ich lebe direkt an der dänischen Grenze, weshalb eine einheitliche oder eben uneinheitliche Europapolitik unmittelbare Auswirkungen auf mich hat. Dies wurde bei den dänischen Grenzkontrollen deutlich. Matthias, 42, Schleswig-Flensburg

Insgesamt halten 60 Prozent der Befragten offene Grenzen, wie sie derzeit zwischen fast allen EU-Ländern bestehen, weiterhin für zeitgemäß.

70 Prozent fühlen sich als Europäer

Sieben von zehn Befragten fühlen sich von den Worten "Wir... Europäer" sehr oder eher angesprochen. 30 Prozent können hingegen wenig bis gar nichts damit anfangen.

Ich bin eine leidenschaftliche Europäerin, die Europäische Union war und ist für mich die Hoffnung auf eine friedliche Zukunft in FREIHEIT. Nur gemeinsam können wir die vor uns liegenden Probleme bewältigen. Kerstin, 78 Jahre, Kreis Rendsburg-Eckernförde

Ich fühle mich als Europäer, daher sind offene Grenzen und offener Handel innerhalb Europas für mich wichtig. Ich würde der EU mehr Gewicht geben. Ute, 69, Kreis Rendsburg-Eckernförde

Die EU ist die Klammer, die Europa zusammenhält. Sie ist nicht perfekt, vielleicht zu bürokratisch und regelt m.E. zu viel. Sie muss Europa gegen Angriffe von außen schützen (Russland, Ukraine), aber auch gegen Destabilisierung von innen (rechte Parteien, die am Ast der EU sägen). Auch beim Klima geht der Schutz nur gemeinsam. Nur eine starke EU verhindert das Denken in Nationalstaaten mit allen negativen Folgen. Wir müssen ein Europa wie vor 100 Jahren verhindern. Dieter, 70, Plön

 

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Im Wind wehende Flaggen der Europäischen Union mit den 12 fünfzackigen, gelben Sternen auf azurblauen Hintergrund sowie die Schleswig-Holstein Flagge mit Landeswappen vor bewölktem Himmel © picture alliance / SULUPRESS.DE Foto: Torsten Sukrow/SULUPRESS.DE

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Dieses Thema im Programm:

Schleswig-Holstein Magazin | 02.05.2024 | 19:30 Uhr

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